© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
PRO&CONTRA
Wählen gehen?
Matthias Dittmann / Werner Peters

Nicht selten hört man das Sprichwort: Jedes Volk bekommt die Regierung, die es verdient. Das Sprichwort scheint allerdings nur für Nichtwähler richtig zu sein. Denn die bekommen sicher die, die sie nicht wollen. Bleibt aber dennoch die Frage, ob die, die wählen gehen, ihre Regierung bekommen. Meist eben auch nicht, denn in Deutschland ist es seit Jahren schon so, daß keine der Parteien über 50 Prozent erreicht und insofern allein regieren könnte. Ergo, sind es die kleinen Parteien, die Wahlen eigentlich entscheiden.

So man sich also überhaupt nicht zwischen den beiden großen Parteien entscheiden kann, sollte man wenigstens über die "Kleinen" nachdenken. Auch die kann man wählen. Der Umkehrschluß wäre also, wer nicht wählen geht, wählt die, die ohnehin allein nicht regieren könnten und somit in jedem Fall auch die Falschen.

Wie heißt also die Devise? Wähle nicht die Person oder eine Partei, sondern wähle die Sache, das Ereignis, das dir zeigt, daß mit Vernunft und sozial gerecht entschieden wurde. Wähle keine bloßen Versprechen, sondern die, die tatsächlich eingehalten wurden. Wähle keine Wahlprogramme, denn auch die sind nur Versprechen. Wähle das, was dir selbst am Herzen liegt und wo du dich am besten aufgehoben fühlst. Wähle nie den wahltaktischen Augenblick, sondern die politische Beständigkeit, niemals Meinungsumfragen, Wahlpropaganda, schöne Plakate, große Mobile, Aktionismus oder gar danach, wer sympathisch und weniger sympathisch ist. Sympathische und attraktive Politiker können genauso erfolglos sein, wie unsympathische und weniger attraktive Politiker durchaus Erfolg haben können. Deutschland muß nicht schön repräsentiert, sondern kompetent regiert werden. Beides in einer Person oder einer Partei dürfte eher selten sein. Wer also nicht wählen geht, wählt dennoch - allerdings in jedem Falle falsch.

 

Matthias Dittmann ist Gesamtvorsitzender des Arbeitslosenverbandes Deutschland e.V. (ALV).

 

 

Nichtwählen als bewußter Akt der Verweigerung kann für die politische Kultur einer Gesellschaft gesünder sein, als die dumpfe Erfüllung einer sogenannten Bürgerpflicht. Unsere Parteiendemokratie ist erstarrt. Sie bewegt sich nur noch in sich selbst. Der Wähler hat zwar die Möglichkeit, die Macht von einer Partei zu einer anderen zu verschieben, aber am System der absoluten Macht der Parteien über unser politisches Leben ändert der Wähler nichts. Und dieses System ist nicht demokratisch, wenn man darunter im Wortsinn Herrschaft oder doch wenigstens Mitbestimmung des Volkes versteht.

Wen die Parteien aufstellen, der wird gewählt und bleibt im Amt, solange die Partei es will. Schon vor der Bundestagswahl sind in unserem System an die 90 Prozent der Abgeordneten bereits gewählt. Die Unabhängigkeit der Abgeordneten ist eine Farce. Für die meisten ist das Mandat oder das Amt, das sie der Partei verdanken, wirtschaftliche und berufliche Existenzgrundlage. Immer mehr Politiker haben noch nie einen "normalen" Beruf außerhalb des Dunstkreises der Politik ausgeübt. Die Politik wird immer lebensferner. Macht korrumpiert. Absolute Macht korrumpiert absolut. Der Hinweis auf die Parteispendenskandale, die ihre Fortsetzung in der Korruption der öffentlichen Verwaltung findet, mag genügen.

Nichtsdestoweniger versuchen die Parteien immer weitere Bereiche der Gesellschaft zu durchdringen bzw. ihre dort bereits etablierte Macht zu verfestigen. Wir brauchen eine Begrenzung der Macht der Parteien.

Noch ist das Nichtwählen ein stummer Protest gegen die Legitimation eines Systems, das sich von der Demokratie als einer Herrschaft des Volkes durch das Volk und für das Volk immer mehr entfernt. Wenn sich dieser Protest organisiert und artikuliert, könnte er den Anstoß zu den längst fälligen Strukturreformen und zur Entmachtung der Parteien geben.

 

Dr. Werner Peters ist Chef und Gründer der Partei der Nichtwähler.


 
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