© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
Roland Claus
Unter Druck
von Doris Neujahr

Auf diesen Mann kommt es am kommenden Sonntag an. Wenn es PDS-Fraktionschef Roland Claus gelingt, im Wahlkreis Halle-Neustadt das dritte Direktmandat für seine Partei zu erringen (die beiden anderen aussichtsreichen Stimmbezirke liegen im Ostteil Berlins), dann zieht die PDS sicher in den Bundestag ein und kann einen Regierungswechsel verhindern. Die Chancen dafür standen ursprünglich gut: Halle-Neustadt (HaNeu) ist ein riesiger Plattenbaubezirk, der zu DDR-Zeiten aus dem Boden gestampft wurde. Die Bewohner arbeiteten fast alle in der mitteldeutschen Chemie-Industrie, die nach 1989 massiv abgebaut wurde. Hier gärt jene Unzufriedenheit, die der PDS stets zugute gekommen ist.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Wo die PDS direkt oder mittelbar an Landesregierungen beteiligt war, hat sie ihre Wähler enttäuscht. Der Schock über Gysis Fahnenflucht sitzt immer noch tief, und dank Flut und "deutschem Weg" in der Irak-Frage hat Schröder auch bei PDS-Anhängern gepunktet. Das Rennen ist also offen.

Roland Claus, geboren 1954 im anhaltinischen Hettstedt, ist ein studierter Diplom-Ingenieurökonom. Bis 1989 war er "in diversen FDJ-Wahlfunktionen tätig", heißt es im Bundestagshandbuch. Eine charmante Lüge, denn echte Wahlen gab es nirgendwo im Land, auch nicht in der FDJ. Daß er an der Parteihochschule "Karl Marx", die dem SED-Zentralkomittee unterstand, zum "Diplom-Gesellschaftswissenschaftler" avancierte, unterschlägt er. Diese Systemverstrickung macht seine aktuelle Weigerung, die DDR als "Unrechtsstaat" zu bezeichnen, verständlich.

Claus war früh für eine politische Karriere in der DDR ausersehen worden. 1989 hatte er es bereits bis zum 1. Sekretär der FDJ-Bezirksleitung in Halle/ Saale geschafft. Gäbe es die DDR noch, wäre er mit Sicherheit in die SED-Bezirksleitung und danach ins SED-Politbüro aufgerückt. Womöglich wäre er dem "Chefökonomen" Günter Mittag nachgefolgt und würde heute von BRD-Politikern und Unternehmern als "DDR-Wirtschaftsexperte" hofiert.

Das Ende der DDR bedeutete für ihn also einen ärgerlichen Karriereknick, doch er hat sich schnell wieder gefangen. Von 1990 bis 1998 war er PDS-Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt und Mitglied des Landtags. Einen Namen macht er sich als Strippenzieher des "Magdeburger Modells", der Tolerierung der SPD-Minderheitsregierung durch die PDS. Im Oktober 2000 folgte er Gregor Gysi als PDS-Fraktionschef im Bundestag nach. Dem schmallippigen und uncharismatischen Mann fällt es schwer, aus dem Schatten des schillernden Demagogen zu treten. Seine Auftritte wirken verdruckst und beflissen, doch keineswegs unintelligent. Weit stärker wirkt er im Hinterzimmer. Claus ist ein kluger Stratege, der sich über die Möglichkeiten und Defizite der PDS keine Illusionen macht. Man darf ihm zutrauen, daß er - für den Fall der Fälle - diskrete Fäden zur SPD längst gesponnen hat.


 
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