© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
Kolumne
Unverhofft
Heinrich Lummer

Natürlich ist es kein Wunder, aber wundern tut' s einen immer wieder, wenn unvorhersehbare Ereignisse den Lauf der Welt nachhaltig verändern. Als die Wahlchancen Margaret Thatchers nicht sehr gut aussahen, versuchte eine Generals-Junta in Argentinien die Falklandinseln zu erobern. Es sah nach Krieg aus. Geschossen wurde auch. Die Nation scharrte sich um Margaret Thatcher. Sie gewann die Wahlen.

Ende der Achtziger sah es um die Regierung Kohl nicht mehr ganz so gut aus. Dann kam plötzlich die Wiedervereinigung und die Wahlen Ende 1990 wurden gewonnen.

Und nun steht einem Kanzler das Wasser buchstäblich bis zum Hals. Dann kommt eine Hochwasserkatastrophe und seine Umfragezahlen gehen hoch. Die Rettung winkt. Dann hält ein amerikanischer Verteidigungsminister eine Brandrede in Sachen Irak. Die Kampa erkennt den Aufhänger, die Fragen der Arbeitslosigkeit, der Wachstumsschwäche, der PISA-Studie usw. zu relativieren: Sie stellt die Frage von Krieg und Frieden. Nicht mehr die Vernunft ist gefragt, sondern die Angst im Bauch. Und zwar jene Angst, die anonym ist. Schließlich hat uns keiner um Soldaten und eine Beteiligung gebeten. Der Kanzler beantwortet die nicht gestellte Frage nach der Beteiligung: Ohne uns - und zwar ohne Wenn und Aber.

Bis zur Wahl jedenfalls. Das macht Eindruck, denn es gibt rechts wie links einen latenten Anti-Amerikanismus und das "ohne-mich" ist seit dem verlorenen Zweiten Weltkrieg ohnehin in Deutschland zu Hause. Die Angst vor Arbeitslosigkeit mag groß sein, die Angst vor einem Krieg ist größer, selbst wenn er "fern in der Türkei" stattfinden sollte. Nachdem die Hartz-Kommission als Kaninchen aus dem Zylinder den Aha-Effekt nicht brachte, kam nun die Kriegsfrage. Im Kabinett nicht besprochen, im Parlament nicht diskutiert, mit den Verbündeten nicht beraten, aber in der Kampa beschlossen und verkündet. Gespräche mit Bush seien nicht nötig, ein Beschluß des Bundestages auch nicht. Nur keine Festlegung vor der Wahl durch einen Beschluß des Bundestages. Das bindet zu sehr. Wenn man wieder für vier Jahre im Sattel sein sollte, kann man Rückzüge und Unfälle bald einleiten. An Gründen sollte es nicht fehlen. Derartige Aktionen rechnen mit der Dummheit der Wähler. Wenn die Rechnung aufgeht, darf man sich eine Wählerbeschimpfung erlauben. Motto: So wie man sich bettet, so liegt man. Und die Regierung, die man wählt, hat man verdient.

 

Heinrich Lummer war Bürgermeister und Innensenator in Berlin sowie bis 1998 Bundestagsabgeordneter der CDU.


 
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