© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
Wortreicher Flirt mit dem Souverän
Am 22. September wird abgestimmt: Zur Wahl des 15. Deutschen Bundestags treten 24 Parteien mit sehr unterschiedlichen Programmen an
Manuel Ochsenreiter / Dominik Schon

Insgesamt buhlen am kommenden Sonntag 24 Parteien und Listen um die Stimmen der über 60 Millionen Wahlbürger. Etwa 3,3 Millionen Wähler sind sogenannte Erstwähler. Der 15. Deutsche Bundestag wird aus insgesamt 598 Abgeordneten bestehen, von denen 299 nach Kreiswahlvorschlägen in den Wahlkreisen und die übrigen nach den Landeswahlvorschlägen der Landeslisten gewählt werden (ohne Überhangmandate). Es bewerben sich 3.542 Kandidaten um die Sitze im Parlament. Von ihnen kandidieren 694 in einem Wahlkreis, 1.598 auf einer Landesliste und 1.250 sowohl in einem Wahlkreis als auch auf einer Landesliste. In allen Wahlkreisen kandidieren nur Bewerber der SPD, CDU/CSU sowie der FDP. Für die Grünen sind 297 und für die PDS 274 Kreiswahlvorschläge zugelassen. Das Durchschnittsalter aller Kandidaten zur Bundestagswahl beträgt genau 45,9 Jahre. Insgesamt kandidieren für die Bundestagswahlen 2002 weniger Bewerber als 1998. Wahlforscher führen das darauf zurück, daß die "Wechselstimmung" nach 16 Jahren Kohl-Regierung die Bürger wesentlich mehr zur politischen Partizipation anregte, als 2002 nach nicht einmal vier Jahren Schröder. So stehen auf den Landeslisten der Parteien insgesamt 2.848 Bewerber, 1998 waren es noch 4.006. 1998 kandidierten 105 parteilose Wählergruppen mit einem Wahlbewerber bzw. Einzelbewerber in Wahlkreisen, 2002 sind es "nur" noch 60. Schwer hat es, wer hier einen Überblick bekommen möchte. Einen Vergleich der Aussagen in den Wahlprogrammen aller Bundestagsparteien, und der Parteien, die flächendeckend (in mehr als zehn Bundesländern) antreten, soll die unten stehende Tabelle ermöglichen. Als Wahlprüfsteine bieten sich die programmatischen Aussagen der Parteien zu den drängenden bundespolitischen Problemen an. Neben den anhaltenden Debatten um das Asylrecht sowie die Zuwanderung, und den umweltpolitischen Problemen - hier die Standpunkte zur Kernenenergie - spielt bei dieser Wahl die Verteidigungs- und Außenpolitik eine wichtige Rolle. Auch der Standpunkt zur Frage der direkten Demokratie und zu plebiszitären Elementen vor allem auf der bundespolitischen Ebene wird bei den Wahlprüfsteinen berücksichtig. Ein weiterer Schwerpunkt bildet der Vergleich der Aussagen zur Familienpolitik, wo sich fast alle Parteien in der Erhöhung des Kindergeldes sowie der Förderung der Familien einig sind. Um einen transparenten und aktuellen Überblick zu gewährleisten, wurden ausschließlich die Wahlprogramme zur aktuellen Bundestagswahl in den Vergleich einbezogen und keine anderen programmatischen Papiere wie zum Beispiel Partei- und Grundsatzprogramme. Daher kommt es vor allem bei kleineren, themenbezogenen Bewerbern vor, daß sie sich zu bestimmten Problemkomplexen gar nicht oder nur kurz äußern.

 

Parteien zur Bundestagswahl im JF-Test - Ein Vergleich der Wahlprogramme

Zuwanderung/Asyl

CDU / CSU

- Beibehaltung des Grundrechts auf Asyl. - Als einziger Grund für die Gewährung von Asyl wird staatliche Verfolgung angesehen.

- Zuwanderungsanreize für nicht anerkennungsfähige Asylbewerber" abbauen.

 

SPD

- Bekenntnis zum Grundrecht auf Asyl: "Wer auf Rettung angewiesen ist, soll sie erfahren."

- Keine Toleranz gegenüber Asylmißbrauch.

 

FDP

- Beibehaltung des Grundrechts auf Asyl.

- Verkürzung der Gerichtsverfahren; zuständige Gerichte personell stärken.

- Bei Nichtanerkennung der Asylbewerbung freiwillige Rückkehr, ansonsten "konsequente Abschiebung". Für Fälle der unzumutbaren Härte soll eine Härtefallklausel im Ausländerrecht eingeführt werden.

 

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

- Uneingeschränktes Grundrecht auf Asyl.

- Auch geschlechtsspezifische und nichtstaatliche Verfolgung sind ein Asylgrund.

Unterbringung von Asylbewerbern in Sammelunterkünften abschaffen. Das soll auch für die Regel gelten, daß Asylbewerber anstelle von Geld Sachleistungen erhalten.

 

PDS

- Uneingeschränktes Grundrecht auf Asyl.

"Offene Grenzen für Menschen in Not": Nicht nur staatliche, sondern auch nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung sollen als Asylgrund anerkannt werden.

 

Partei Rechtstaatliche Offensive

- Streichung des Rechts auf Asyl aus dem Grundgesetz. Fortbestand als einfaches Gesetz.

- Keine nachträgliche Legalisierung des Aufenthalts Illegaler.

Asylbewerber sollen im wesentlichen nur noch Sachleistungen statt Geldleistungengewährt werden.

 

REPUBLIKANER

- Streichung des Grundrechts auf Asyl, stattdessen Regelung durch Gesetz.

- Keine Erweiterung des Asylrechts auf nichtstaatliche Verfolgung und "sogenannte Armutsflüchtlinge".

- Unterbringung der Asylbewerber in Sammelunterkünften und ausschließlich Gewährung von Sachleistungen.

 

NPD

- Ersatzlose Streichung des einklagbaren Rechtes auf Asyl.

- Die Feststellung, daß im Heimatland eines Asylbewerbers strengere Strafen als in Deutschland gelten, darf der Abschiebung nicht grundsätzlich im Wege stehen.

 

DIE GRAUEN

- Uneingeschränktes Asylrecht für politisch Verfolgte.

- Europäische Lösungen im Asylrecht haben Vorrang und müssen schnell realisiert werden (unter konsequenter Anwendung des Grundgesetzes und der Genfer Flüchtlingskonvention).

 

 

Familienpolitik

CDU / CSU

- Ein "Familiengeld" soll Kindergeld und Erziehungsgeld ersetzen.

- Das "Familiengeld" soll steuer- und abgabenfrei bleiben.

Höhe unabhängig vom Familieneinkommen. Staffelung: 600 Euro für Kind unter drei Jahren; 300 Euro im Alter von drei bis 18; 150 Euro für Kinder über 18 Jahren, die sich in Ausbildung befinden.

 

SPD

- Mittelfristig Anhebung des Kindergeldes auf 200 Euro.

- Steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungskosten bei Berufstätigkeit erweitern, um besonders Alleinerziehende zu entlasten.

 

FDP

- Erhöhung des Kinderfreibetrages auf 7500 Euro jährlich

Direkt gezahltes Kindergeld soll es weiterhin geben. Die FDP will es "entsprechend" anpassen.

 

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

- Einheitliches Kindergeld für alle, um die Familien steuerlich gerechter zu behandeln.

- Die Kinderfreibeträge sollen wegfallen. Kinderarmut soll durch Zuschläge zum Kindergeld bekämpft werden.

 

PDS

- Kindergeld soll stufenweise zu einer existenzsichernden Grundsicherung für Kinder ausgebaut werden.

Sofortige Einführung einer Grundsicherung für Kinder, deren Eltern nur über geringes Einkommen verfügen. Für alle anderen Kinder soll das Kindergeld kurzfristig auf 210 Euro angehoben werden.

 

Partei Rechtstaatliche Offensive

- Erhöhung des Kindergeldes.

- Verfolgen einer offensiven Bevölkerungspolitik mit dem Ziel, junge Paare zur Familienbildung zu ermutigen.

 

REPUBLIKANER

- Kindergeld an deutsche Familien und für Staatsangehörige der Länder, die auch Deutschen Kindergeld zahlen.

- Erziehungsgeld für Eltern, die wegen der Kinder ihren Beruf nicht ausüben.

- Langfristige Neuordnung der Familienförderung durch Einführung eines Familiengeldes für deutsche Familien.

 

NPD

- Erhöhung des Kindergeldes auf 500 Euro für das erste Kind, für alle weiteren Kinder gestaffelt nach dem Realeinkommen der Eltern (Forderung bezogen auf deutsche Kinder).

Einführung eines Hausfrauen- und Müttergehaltes mit Rentenanspruch.

 

DIE GRAUEN

- Erhöhung und soziale Staffelung des Kindergeldes.

Gleichsetzung von Familienarbeit und bezahlter Erwerbsarbeit (keine unbezahlte Sozialarbeit mehr) in allen Lebensbereichen.

 

 

Kernenergie

CDU / CSU

- Den von Rot-Grün beschlossenen schrittweisen Ausstieg aus der Kernkraft rückgängig machen, "da ein Ausstieg die Klimaproblematik nicht löst, sondern sie verschärft".

- Höchstmögliche Sicherheit muss dabei Vorrang haben, deswegen Fortführung der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für neue Reaktorsysteme.

 

SPD

- Ausstieg aus der Kernenergie.

- Besonderes Augenmerk auf die Sicherheit des Reaktorbetriebs während der Restlaufzeit.

 

FDP

- Fortführung der Kernenergie, da wichtige Option für die Stromerzeugung auch über die Betriebszeit der heutigen Kernkraftwerke hinaus.

- Kernfusion gehört zu den förderungswürdigen "neuen umweltfreundlichen Technologien".

 

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

- Ausstieg aus der Kernkraft fortsetzen; Abschalten der ersten Kraftwerke ab 2003.

- Ausstieg aus der Wiederaufarbeitung bis 2005; Stopp innerdeutscher Atomtransporte nach Ahaus und Gorleben.

 

PDS

Schnellstmögliche Einstellung des Betriebs von deutschen Atomanlagen und der Atommülltransporte in Wiederaufbereitungsanlagen.

 

Partei Rechtstaatliche Offensive

- Keine Angaben.

 

REPUBLIKANER

- Keine neuen Kernkraftwerke, aber weiterer Betrieb der vorhandenen auf höchstmöglichem Sicherheitsniveau.

 

NPD

- Keine konkrete Festlegung zur Atomenergie.

Keine weitere finanzielle Förderung mehr für die Erforschung der Kernenergie.

 

DIE GRAUEN

Keine Angaben.

 

 

Direkte Demokratie

CDU / CSU

- Keine Angaben.

 

SPD

- Das Grundgesetz soll neben Parlamentswahlen auch Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene ermöglichen.

 

FDP

- Mehr Elemente der direkten Demokratie vor allem bei Entscheidungen im unmittelbaren Umfeld des Einzelnen; der richtige Weg dafür: Bürgerentscheide, Bürgerbegehren und Bürgerbefragungen.

 

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene.

 

PDS

Direkte Bürgerbeteiligung durch Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene.

 

Partei Rechtstaatliche Offensive

- Stärkung der direkten Bürgerbeteiligung an politischen Entscheidungsprozessen in der Verfassung.

- Möglichkeit eines Volksentscheids

- Keine Tabuthemen für Bürgerentscheide.

 

REPUBLIKANER

- Volksabstimmungen zu grundlegenden politischen Entscheidungen, insbesondere zu Verfassungsänderungen,

Einschränkungen deutscher Staatsgewalt zugunsten internationaler Organisationen, Veränderungen des Staats-charakters durch Masseneinwanderung.

 

NPD

- Einführung von Volksentscheiden auf Bundesebene

- Das Volk soll die Möglichkeit haben, durch dieses Instrument in die "Machen-schaften der Kartellparteien" einzu-greifen.

 

DIE GRAUEN

- Einführung von Volksentscheiden in Fragen, welche für die Bevölkerung von größter Wichtigkeit sind, z.B. Neue Verfassung, Kernkraft, Neue Techniken, welche die Gesellschaft völlig verändern (Gentechnik usw.), Verträge zu Europa (Maastrichter Vertrag und andere), Sozial-Reformen, Wehrpflicht.

 

 

Verteidigungspolitik

 

CDU / CSU

- Rechtliche Grundlagen schaffen, um für Vorbereitung und Durchführung von multilateralen Bundeswehreinsätzen flexibel zu sein.

- Die Bundeswehr soll "wieder voll einsatz- und bündnisfähig" werden.

 

SPD

- Bundeswehreinsätze im Ausland nur mit Rückendeckung durch UN- und Bundestags-Beschlüsse.

 

FDP

- Bundeswehr muß für Bündnisverteidigung, Krisenbewältigung, Terrorbekämpfung, Friedenssicherung, humanitäre und Katastrophenhilfe einsetzbar sein.

 

BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN

- Einsätze im Ausland muss der Bundestag genehmigen. Ein Entsendegesetz wird abgelehnt. Für Auslandseinsätze ist ein Mandat der UNO zwingend.

Forderung nach Grundgesetzänderung: Für Bundeswehreinsatz soll künftig 2/3-Mehrheit nötig sein.

 

PDS

- Ablehnung jeglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr.

 

Partei Rechtstaatliche Offensive

- Keine Angaben.

 

REPUBLIKANER

- Auslandseinsätze nur dann, wenn die Sicherheit oder lebenswichtige Interessen Deutschlands bedroht sind.

 

NPD

- Sofortiger Abzug aller im Ausland stationierten Soldaten nach Deutschland.

- Keine weitere Beteiligung deutscher Streitkräfte an Aus-landseinsätzen der NATO - "Deutschland darf nicht länger als Drehscheibe für US-imperialistische Aggressionen mißbraucht werden."

 

DIE GRAUEN

Keine weltweiten "Abenteuer" der Bundeswehr (out of area).


 
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