© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
Pankraz,
de Benoist und der Nutzen von Netzwerken

Aufwärmen macht die Sachen nicht genießbarer. Zum x-ten Mal nun schon hat Alain de Benoist in der JF (38/02) sein Credo vom Ende der Staaten, speziell der Nationalstaaten, und ihrer Ersetzung durch "Netzwerke" ausgebreitet. "Konzerne, Drogenkartelle, Mafias und Terror-Organisationen", argumentierte er, operieren erfolgreich, weil ihre Organisation auf trans-territorialen Netzwerken basiert. Dagegen ist der Nationalstaat ein Gebilde von vorgestern. Er ist für die "Postmoderne" sowohl zu groß als auch zu klein. Zu groß, "um auf die Alltagssorgen der Menschen einzugehen", zu klein, "um weltweiten Bedrohungen zu begegnen".

Als sei es Konzernen, Drogenkartellen, Mafias und Terror-Organisationen je darum gegangen, auf unsere Alltagssorgen einzugehen und weltweite Bedrohungen von uns abzuhalten! Das Gegenteil ist bekanntlich der Fall. Sie vermehren unsere Alltagssorgen und bedrohen uns. Die Methoden, die sie anwenden, sind weitgehend kriminell, sie können nie und nimmer Vorbild sein.

Das "Netzwerk", von dem Benoist so schwärmt, ersetzt übrigens weder bei Drogenkartellen noch beim Terrorismus das, was immer schon Organisation ausmachte und was auch zur innersten Substanz eines ordentlichen Staates gehört: Optimales Zusammenspiel von Weisungszentrale und ausführenden Organen, Verläßlichkeit der Kommandostränge, Rückkopplung und Kommunikation. Beim Staat kommt hinzu, was eigentlich erst ein gutes, akzeptables Netz herstellt: Rechtssicherheit, Machtmonopol plus behutsame, kontrollierte Gewaltanwendung, Vorrang der kulturellen und ethnischen Identität vor der bloßen Geldmacherei.

Benoist tut so, als schlössen sich Nationalstaat und internationale Kooperation gegenseitig aus. Aber davon kann überhaupt keine Rede sein, wie schon der oberflächlichste Blick auf das politische Alltagsgeschehen beweist. Die modernen Informations- und Kommunikationstechniken werden nicht nur von den Drogenkartellen und den Terroristen benutzt, sondern auch von den Staaten, nicht zuletzt beim Kampf gegen Drogen und Terror. Ob die Netzwerke des Terrorismus denen der Staatengemeinschaft überlegen sind, ist weder erwiesen noch wahrscheinlich. Jedenfalls liegt die Überlegenheit der einen oder der anderen Seite nicht in der "Vernetzung", denn vernetzt sind beide.

Die Vergötzung des "Netzwerkes" durch Alain de Benoist ist umso erstaunlicher, als er doch als Rechter, gar als "führender Theoretiker der französischen Neuen Rechten" firmiert. Was will er denn wirklich? Nationalstaaten und Völker läßt er nicht mehr gelten, hinter die Werte der kulturellen Identität und des charaktervollen Individualismus macht er dicke, höhnische Fragezeichen. An die Stelle all dieser Kräfte sollen "vernetzte, globale Gruppen" treten, die sich um "Diversitäten" bemühen. Wer ist damit gemeint? Etwa die global vernetzten Kaninchenzüchter sämtlicher Längen- und Breitengrade? Oder die vereinigten Briefmarkensammler oder die Melonengärtner von Sibirien bis Patagonien?

Steckt hinter dem führenden Theoretiker der Neuen Rechten vielleicht nichts weiter als ein französischer Kleinbürger und Poujadist, der hin und wieder - besonders nach der Lektüre von Proudhon - heftige antikapitalistische Anwandlungen verspürt und dann mächtig gegen "Wallstreet" und internationale Finanzhaie anmosert, sich aber schnell wieder beruhigt mit der Organisation seiner "Gruppe" beim Weintrinken im örtlichen Bistro und das für wirksamen Widerstand hält? Dann sollte er lieber gleich bei Attac anheuern und sich dort nützlich machen.

Es ist fast ein Trauerspiel: Genau das, was heute den Charme, die Kostbarkeit und auch die Stärke des modernen Nationalstaates ausmacht, nämlich seine mittlere Größe, sein - mit Aristoteles zu sprechen - "gutes Maß" (nicht zu groß und nicht zu klein), wird von Benoist verhöhnt und abgetan. Dabei müßte gerade er wissen: Das "gute Maß" eines Staates läßt dem Bürger Spielraum, seine Alltagsprobleme weitgehend autonom zu lösen, er muß nicht dauernd Angst vor imperialen Übergriffen und Abenteuern "seines" Staates haben, und dieser gewährt ihm trotzdem Schutz vor "brasilianischen Zuständen", vor innerer Gesetzlosigkeit, Mafia- und Clanherrschaft, sozialer "Verinselung".

Die Beseitigung des "mittleren Staates", wie sie Benoist propagiert, würde dagegen genau zu jener "Verinselung" differierender ethnischer Gruppen innerhalb des ehemaligen Staatsgebietes führen und, dadurch bedingt, zur Rückkehr in den Naturzustand "Alle gegen alle". Es käme zur Ersetzung übergreifender Staatsgewalt durch konkurrierende und sich gegenseitig bekämpfende mafiaförmige Partikulargewalten.

"Verinselung" - das heißt ja nicht Gettoisierung im üblichen Sinne, dergestalt daß eine bestimmte Gruppe in ein soziales Getto eingeschlossen und von den übrigen Gruppen abgesondert wird, sondern sämtliche vorhandenen oder einströmenden Gruppen bilden von sich aus Gettos. Inseln, Gebilde, die faktisch wie feindliches Ausland miteinander verkehren, mit einer Binnenmoral auf jeder Insel und einer Binnenpolizei, die nur noch für die Aufrechterhaltung der jeweiligen Binnenmoral sorgen kann, im Außenverkehr hingegen als eine Art Bürgerkriegsarmee fungiert, als Wolfsrudel und Todesschwadron. Dagegen hilft, bei fehlender Staatsgewalt, auch die beste Vernetzung nichts.

Voraussetzung zur Vermeidung von "Verinselung" in Europa ist vielmehr ein Minimum an nationaler Homogenität innerhalb der Grenzen seiner wichtigsten, bisher noch mit halbwegs stabiler Staatlichkeit gesegneten Staaten (Frankreich, Deutschland, Italien usw.). Was wir dringend brauchen, ist eine Besinnung darauf, daß das traditionelle Netzwerk aus Individuum, Nation und Staat eine unverzichtbare Errungenschaft der abendländischen Geschichte ist. Man sollte sich diese Besinnung nicht ausgerechnet von einem Vertreter der Neuen Rechten wegreden lassen.


 
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