© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002

 
Zeitschriftenkritik: Fantômas
Bekenntnishaft aus der Sinnkrise
Werner Olles

Zweimal im Jahr will das "Magazin für linke Debatte und Praxis", dessen Titel sich auf die populäre Roman- und Filmfigur des französischen Verbrecherkönigs "Fantômas" bezieht, das fortsetzen, was die Zeitung analyse & kritik jeden Monat neu zu beginnen sucht: die Anzeichen eines Aufschwungs sozialer Bewegungen untersuchen, das Auftreten neuer politischer Subjekte und neuer Formen ihrer Verbindung und ihres Austauschs darstellen, sowie Forum eines Neubeginns "für den Ausstieg aus der finsteren Zeit der neunziger Jahre" sein.

Die Verspätung - eigentlich sollte die erste Ausgabe zum Jahreswechsel erscheinen - war ein Nebeneffekt der Ereignisse seit dem 11. September, um deren "kritische Wahrnehmung" es der Redaktion ging. Durchaus selbstkritisch gesteht man ein, vor "gespenstischen Fragen" gestanden zu haben, auf die man keine Antwort wußte. Die unter dem Motto "Zu rebellieren und zu denken wagen!" in einer Auflage von 2.700 Exemplaren erschienene Ausgabe enthält vornehmlich Selbstverständigungstexte von Autoren, die ihre politische Sozialisation in der 68er-Bewegung oder den "neuen sozialen Bewegungen" der siebziger Jahre autobiographisch reflektieren.

Während einige Texte ziemlich larmoyant und selbstreferentiell sind, finden sich jedoch auch Aufsätze, die durchaus mit der nötigen Selbstkritik und Originalität daherkommen. Immer wenn die Restbestände der radikalen Linken ihre eigenen Sinnkrisen thematisieren, wird es nämlich spannend. Dann erfährt man beispielsweise etwas über die reformistischen Illusionen der Globalisierungsgegner und deren an allen Ecken und Enden kränkelnden Sozialstaats- und Politromantizismus oder darüber, wie revolutionäre Emanzipationsbewegungen immer wieder zu Wegbereitern kapitalistischer Entwicklungsschübe wurden und werden. Daß der strömungsübergreifende, linke Pluralismus mit dem traditionellen Marxismus der Arbeiterbewegung nur noch ganz am Rande zu tun hat, wußte man zwar auch schon vorher, und daß die Ideensurrogate von "Attac" den Desintegrationskapitalismus in keiner Weise schmerzen, war auch einigermaßen klar, daß aber ein sich "no spoon" nennendes Autorenkollektiv "Politik auf der Höhe des Empire zu denken" vorgibt, und "Abschied vom Souveränismus" nimmt, der doch "nur der Verteidigung rückwärtsgewandter sozialstaatlicher Leistungen für den gesellschaftlichen Kern" dient, zeigt wiederum die ganze linksradikalistische Durchgeknalltheit. Anstatt sich strategische Optionen offen zu halten, neigt die Linke notorisch zur konfrontativen Besserwisserei. Aber warum sollte sie eigentlich intelligenter sein, als das Gesellschaftsmodell, das sie angeblich so unerbittlich bekämpft?

So gilt dann leider auch für Fantômas, daß statt Kenntnis zuviel Bekenntnis herrscht und daß dort, wo die Bezugsfelder abhanden kommen, Kreuzzugsmentalitäten einreißen, deren Jargon trotz seiner fraglosen Radikalität höchstens den Stellenwert eines linken Frühlingserwachens hat. Spätestens im Herbst folgt dann der trübe Nebel.

Anschrift: Analyse & Kritik, Rombergstr. 10, 20255 Hamburg. Das Einzelheft kostet 4,50 Euro.


 
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