© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    39/02 20. September 2002


Frisch gepreßt

Weimar im Widerstreit. Grob bilanziert stellt sich die neuere Forschungsentwicklung zur Geschichte wie folgt dar: die Belastung durch das Versailler Diktat erscheint deutschen Zeithistorikern inzwischen als marginal, während ihre Agoniephase ab 1930 keineswegs so bewertet wird, als ob alles automatisch auf den 30. Januar 1933 zulaufen mußte. Wie Wolfram Pyta in seinem jüngsten Forschungsüberblick ausführt (JF 35/02), freunden sich selbst Sozialdemokraten wie der Berliner Historiker Heinrich August Winkler mit dem Gedanken an, eine von Kurt von Schleicher gegen Hitler etablierte Militärdiktatur sei 1932 eine realistische Alternative gewesen (siehe den Beitrag Günter Maschkes auf Seite 16). Winkler räumt im vorliegenden, von ihm edierten Band, der die einst zwischen BRD- und DDR-Historikern leidenschaftlich ausgefochtenen Kontroversen über "Weimar" thematisiert, auch mit den Romantizismen vom versäumten "dritten Weg" auf, der unter der Führung der "Räte" 1918/19 angeblich offen stand. Gut, so Winkler, daß "die Desperados in der Spartakusgruppe und der späteren KPD" nicht zum Zuge gekommen seien (Weimar im Widerstreit. Deutungen der ersten deutschen Republik im geteilten Deutschland. Oldenbourg Verlag, München 2002, 193 Seiten, 24,80 Euro).

Kanzlerreigen. Begleitend für die Sendereihe von RTL und passend zur Bundestagswahl haben, analog dem Polit-Duo Bodo Hauser und Ulrich Kienzle, der Historiker Arnulf Baring und sein Erlanger Kollege und Brandt-Biograph Gregor Schöllgen einen Band über die sieben bisherigen Kanzler der Bundesrepublik vorgelegt. Dabei entdecken die beiden vor allem eine Gemeinsamkeit aller Charaktere: die Lust an der Macht. Keiner der sieben Kanzler gab freiwillig sein Zepter ab - parteiinterne "Kanzlermörder", untreue Koalitionspartner, Spionage-Affäre oder schlichte Abwahl waren nötig, um sie loszuwerden. Interessant an dem gefälligen Buch ist die Periodisierung der Kanzlerschaften. Adenauer und Erhard als "Fundierung", Kiesinger und Brandt als "Umbau", Schmidt und Kohl als Sicherung und Kohl nach 1990 und Schröder als "Ausbau?" der Republik. Letztes Kapitel ist bewußt mit Fragezeichen versehen, denn die Richtung der "Berliner Republik" schätzen Baring und Schöllgen als eher ungewiß ein (Kanzler, Krisen, Koalitionen. Siedler Verlag, Berlin 2002, 320 Seiten, 24,90 Euro).


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