© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
Im Sog der Symphatie
Der SPD gelang mit Wahlversprechen eine Virtualisierung des Wahlkampfes
Klaus-Peter Schöppner

Umfragen sind nur Momentaufnahmen", wurde der Meinungsforschung bislang stets entgegen gehalten. Seit letztem Sonntag gilt das auch für Wahlen: Im Achterbahnverlauf der heißen Wahlkampfphase entschieden offenbar Jürgen W. Möllemanns Eskapaden sowie Hertha Däubler-Gmelins Ausfälle die Wahl. In der langen Kette medien- und damit wahlwirksamer Events waren sie die letzten, die den volatilen Wählern in Erinnerung blieben. Also verloren FDP und SPD gegenüber den Umfragen, die noch kurz vor der Wahl erhoben wurden, deren gewohnheitsmäßige Koalitionspartner, also CDU/CSU sowie die Grünen, wurden so mit Hilfe dieser Fruststimmen die Sieger des Wahlabends.

Nie war eine Wahl amerikanischer als heute. Nie hatten Themen im Tagestakt einen höheren Stellenwert als Können und Kompetenz. In der Fieberkurve des heißen Wahlkampfes symbolisierte der 26. Juli den optimalen Wahltermin für die Union, der 11. September den Tag, an dem der Vorsprung der SPD am größten gewesen wäre. Nicht die Wirtschaftsbilanz, nicht Kompetenz, Inhalte oder Argumente gaben den Ausschlag, ob Stoiber oder Schröder Kanzler wurde. Sympathie, das politische Klima, die Medienstimmung, kurz das Tagesthema am Wahltag bestimmt die Politik einer der führenden Wirtschaftsnationen der Welt in den nächsten vier Jahre.

Die Parteien sind an dieser Entwicklung selbst schuld: Zum einen haben sie das in sie gesetzte Vertrauen durch Filz-, Spenden- und Klüngelaffären auf den absoluten Tiefpunkt gebracht: Nur noch 8 Prozent bringen unseren Parteien "großes Vertrauen" entgegen. Zum anderen traut ihnen nur noch jeder Zweite zu, Lösungen für die wichtigen Probleme zu haben. Vier Millionen Arbeitslose unter Kohl, jetzt wie selbstverständlich unter Schröder: 50 Prozent und nicht mehr 25 Prozent wie noch 1996 beurteilen die Parteien als inkompetent.

Dieses Volksempfinden hat das Wahlverhalten auf den Kopf gestellt. Nur noch 25 Prozent, halb so viele wie 1990, interessieren sich für Politik, also nimmt die Kenntnis über Inhalte, und Zusammenhänge stark ab. Die 75 Prozent desinteressierten und damit leicht beeinflußbaren Deutschen entscheiden die Wahl.

Damit aber entscheidet "Agenda setting", das schnelle Aufspüren von Spalt- und Winnerthemen sowie deren mediale Inszenierung heute Wahlen. Die Deutschen wußten um unsere desaströse Wirtschaft. Und schwenkten um in das Lager der Partei, die nur wenig dagegen zu unternehmen gedenkt. Das "Regine-Hildebrandt-Syndrom", Politik als spontane Solidarisierung mit den Wählerproblemen, ohne sie auch anzupacken, hat erneut entschieden. Vor allem im Osten: Anfang August wollten nur 30 Prozent die SPD wählen, am Wahltag waren es 40 Prozent. Stoiber konnte unerwartet wenig Kapital aus der Steilvorlage Wirtschaftserwartungen schlagen. Obwohl nur noch 18 Prozent an eine positive Wirtschaftsentwicklung glauben und nur noch 9 Prozent einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen erwarten, gab es im August die Stimmungswende zugunsten von Rot-Grün: Kurz vor der Wahl sahen 47 Prozent die SPD und nur noch 25 Prozent die Union im politischen Stimmungshoch, so daß die SPD-Argumente ab da für überzeugender gehalten wurden.

Anfang Juni wollten noch 59 Prozent eine neue Regierung. Nur für 38 Prozent hatte Rot-Grün noch genügend Themen und Überzeugungskraft für weitere vier Jahre. Ausgerechnet am 11. September waren die Wähler mit 51 zu 45 Prozent mehrheitlich für den Weiterbestand von Rot-Grün. Drei Tage vor der Wahl war das Wechselklima mit 47 zu 45 Prozent fast ausgeglichen.

Obwohl die Wähler der Union für die bessere Wirtschaftspartei hielten, verpaßte es Stoiber, den Wählern die Alternativen zu verdeutlichen. Seine Weichzeichnerpolitik führte gegen Wahlkampfende dazu, daß die Mehrheit der Wähler keine bessere Politik mehr erwartete und Sympathie über Kompetenz triumphierte. Im Sog fiel auch der Kandidat gegenüber dem Kanzler immer weiter zurück. Wegen fehlender inhaltlicher Alternativen gelang es der SPD, sich mit Flutversprechen, Solidaritätskundgebungen und Pazifismusparolen bis zum Wahltag durchzuvirtualisieren. Zweidrittel glaubten zuletzt, nicht die Regierung sei schuld an der Wirtschaftskrise, sondern die Weltwirtschaft, Amerika, der 11. September und sonstige höhere Mächte.

Die wahlentscheidenden Faktoren: Der Kanzlerbonus des Gerhard Schröder und seine brillante Themenverlagerung von der kalten Wirtschaft auf die warme Solidarität. Die Union verspielte dagegen ihre glänzende Ausgangslage durch eine Politik ohne Symbolik, den wenig präsenten Lothar Späth, vor allem aber durch ihre flutartig hohen Stimmenverluste im Osten. Die Grünen waren die wahren Profiteure von Flut und Frieden mit ihren authentischen Politikern gegen Klima und Krieg. Die FDP verlor, weil sie Spaß predigte, als nicht mehr Spaß angesagt war, Aggression, als Harmonie gefordert wurde, Möllemann das Thema war, als Westerwelle das Sagen haben mußte. Hauptverlierer aber ist die PDS. Ohne Gysi war sie im Westen, ohne Image als Helferpartei im Osten nichts wert. Geschickt spülte die Flut die SPD in deren Rolle. Ausgerechnet im "Chefsachen-Gebiet" holte sich die SPD damit die wahlentscheidenden Prozente.

 

Klaus-Peter Schöppner ist Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstitutes Emnid.


 
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