© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
"Fischer quälen"
Grüne: Hans-Christian Ströbele gewinnt ein Direktmandat
Ronald Gläser

Dieser Sieg war die beste Medizin für meine Kopfschmerzen." So kommentierte der Grüne Christian Ströbele seinen Überraschungserfolg im Berliner Wahlkreis Kreuzberg-Friedrichshain. Als erstem Grünen-Politiker ist es dem Altlinken gelungen, ein Direktmandat zu erobern.

Ströbele war kurz vor dem Wahltag auf offener Straße von einem gewalttätigen Rechtsextremisten angegriffen worden. Der 35jährige Täter, Bendix Jörg Wendt, war ohne Vorwarnung auf den Bundestagsabgeordneten losgegangen und hatte ihn mit einem Metallrohr verletzt. Augenzeugenberichten zufolge versuchte Ströbele sogar noch, den Attentäter zu fassen. Die Polizei nahm den Täter kurz darauf fest.

Ströbele ist ein politisches Stehaufmännchen. Der Jurist ist ein Prototyp der 68er-Bewegung. Nach fünf Jahren Mitgliedschaft schloß ihn 1975 die SPD aus. Zu nah stand Ströbele seinen Mandaten, darunter mehrere RAF-Terroristen. 1980 wurde er wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu zehn Monaten Haft verurteilt. Unter anderem verteidigte er auch Horst Mahler, mit dem er das "sozialistische Anwaltskollektiv" gegründet hatte.

1980 wirkte Ströbele an der Gründung der taz mit. Er wurde zu einer Führungsfigur der neugegründeten Grünen. 1988 erhielt er erstmals ein Bundestagsmandat für die Berliner Alternative Liste. Ein Jahr später fädelte er die rot-grüne Koalition unter Walter Momper in Berlin ein. Deren Scheitern ging einher mit dem der Bundesgrünen, die 1990 den Einzug in den Bundestag verpaßten.

Doch im Laufe der neunziger Jahre verlagerte sich das Machtzentrum bei den Grünen zu den sogenannten Realos. Fundamentalisten wie Ströbele verloren zusehends an Einfluß. 2001 gehörte er zu den wenigen Abgeordneten der Grünen, die sich dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr widersetzten.

Bei der Aufstellung der Kandidaten in Berlin schien Ströbeles Karriere beendet zu sein; die strikte Frauenquote bei den Grünen kostete ihn seinen sicheren Listenplatz. Der erste Platz auf der Landesliste ging an Verbraucherschutzministerin Renate Künast. Auf dem zweiten Platz scheiterte Ströbele gegen Werner Schulz, der nicht nur die Ostquote der Partei erfüllte, sondern auch die Unterstützung der Parteispitze genoß. Und auf dem dritten Platz mußte wieder eine Frau nominiert werden, so daß Ströbele auch hier chancenlos war.

Doch er nahm die Herausforderung an. Nur im Wahlkreis 84 hatte er die Chance, das für Grüne bislang unerreichbare Direktmandat zu gewinnen: Der Wahlkreis vereint das Ausländer- und das ehemalige Hausbesetzerghetto in Kreuzberg mit dem ärmsten aller Ostbezirke.

Mit 31,6 Prozent der Erststimmen hat Ströbele am Wahltag das alternative Potential noch längst nicht ausgeschöpft. Auf seinen SPD-Mitbewerber entfielen immerhin auch noch 29,2 Prozent. Die PDS-Kandidatin erreichte 21,3, der CDU-Mann nur dreizehn Prozent. Die Zuwächse des Grünen Bewerbers gehen vor allem zu Lasten der SPD-Erststimmen. Das Zweitstimmenergebnis der Grünen war acht Prozent niedriger, das der SPD zehn Prozent höher.

Das zeigt, daß die Wähler sehr bewußt Ströbele angekreuzt haben. Immerhin genießt der in Halle geborene Politiker einen recht hohen Bekanntheitsgrad. Zudem haben auch lokale SPD-Parteifunktionäre offen zur Wahl des unbequemen Grünen-Kandidaten aufgerufen. Gegen diese fünf Sozialdemokraten, die sich in Zeitungsinseraten für Ströbele eingesetzt haben, hat SPD-Landeschef Peter Strieder ein Ausschlußverfahren eingeleitet. Dieses Parteiordnungsverfahren ist aus Sicht der politischen Linken jedoch kurzsichtig. Denn Ströbele hat die Wahl der PDS-Kandidatin verhindert. Dadurch erst wurde die Parlamentsmehrheit für Rot-Grün möglich.

Ströbele ist ein Enfant terrible für die mit knapper Mehrheit regierende Schröder-Regierung. Der Berliner liegt in so offenem Streit mit seiner Parteispitze, daß er unter anderem plakatieren ließ "Ströbele wählen, Fischer quälen!" Insofern ist der Sieg des Christian Ströbele sicher mehr als nur der Triumph eines weit Linksaußen agierenden Alt- 68ers. Es ist auch Erfolg für einen Außenseiter, der sich gegen die eigene Parteihierarchie durchgesetzt und im Wahlkampf beim sprichwörtlichen "kleinen Mann auf der Straße" gepunktet hat. So ein Einsatz für die eigene Überzeugung gegen alle Widerstände verdient Respekt.


 
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