© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
Professoren fordern Mut zu Reformen
Arbeitsmarkt: Egal, welche Regierung - es gibt nur einen Weg zur Beseitigung der Beschäftigungskrise
Bernd-Thomas Ramb

Die deutschen Wähler haben letzten Sonntag knapp, aber ausreichend deutlich für die Fortsetzung der rot-grünen Bundesregierung gestimmt. Dazu mag so mancher aktueller Notfall und so manche tagespolitische Momentwahrnehmung beigetragen haben, mitentscheidend war in jedem Falle die wirtschaftliche Situation in Deutschland.

Aus mehreren Gründen und Gesichtspunkten. Da mag manchem Wähler der Stellenwert der Wirtschaftsprobleme im Vergleich zu Kriegsgefahr und Katastrophendrohung als weniger bedeutsam erschienen sein. Auch das wäre ein beachtenswertes Wählervotum, das die Einordnung wirtschaftlicher Mißstände in den Wohlfahrtskanon der demokratisch feststellbaren Staatsziele offenbart. Andere Wähler mögen der wirtschaftlichen Situation deshalb wenig Gewicht bei ihrer Wahlentscheidung eingeräumt haben, weil sie den Parteien generell nur geringe Einflußmöglichkeiten zur Änderung der momentanen Situation zutrauen. Neben der Erkenntnis, daß damit letztlich keine Partei ihre Kompetenz glaubhaft versichern konnte, steht aber auch die Frage: "Können die nicht oder wollen die nur nicht?"

Wahlausgang hin, Regierungsbildung her, die Wirtschaftsprobleme bleiben bestehen. Allen voran und als Hauptursache für viele andere dominiert die hohe Arbeitslosigkeit. Die siegreiche rot-grüne Regierung hat schon im Wahlkampf ihre Vorstellungen zur Lösung des Problems propagiert: das Hartz-Papier. Es wird zweifellos eine rasche Umsetzung finden. Dafür spricht nicht nur die existierende Mehrheit, sondern auch die Tatsache, daß die stärkste Oppositionspartei dem Hartz-Papier in vielen Punkten zustimmt. Die Straffung der Arbeitslosigkeitsverwaltung mit der Reorganisation der Bundesanstalt für Arbeit stand ohnedies an. Zu einem bedeutsamen Rückgang der Arbeitslosigkeit wird dies jedoch kaum führen. Gleiches gilt für die - wie weit auch immer reichende - Rücknahme der beschäftigungsunfreundlichen Regelungen zum früheren "630-Mark-Gesetz" und zur Scheinselbständigkeit. Zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit sind härtere Maßnahmen erforderlich und die Hauptdirektive muß heißen: Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Dazu paßt ein Aufruf von mehreren Wirtschaftsprofessoren, darunter Wolfgang Franz, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium, Manfred J. M. Neumann, ebenfalls Mitglied im Wirtschaftsbeirat, und Hans-Werner Sinn, Direktor des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, der die Politiker nach der Wahl auffordert, mutig den "Kern des Problems anzugehen". Nur durch eine umfassende Reform der Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktes komme es zu einer Senkung der Arbeitskosten, die als unabdingbare Voraussetzung zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit gesehen wird.

Der Grundlehrsatz der Fachleute ist hart, aber unmißverständlich. "Es ist grundsätzlich falsch, die Lohnpolitik Verteilungszielen dienstbar machen zu wollen. Der Lohn hat die Aufgabe, Angebot und Nachfrage nach Arbeitskräften zum Ausgleich zu bringen. Ist er zu hoch, entsteht Arbeitslosigkeit. Verteilungsziele können nur durch die Instrumente des Sozialstaates erreicht werden." Daran schließen die Wirtschaftssachverständigen vier Forderungen an: "Erstens: Einer dezentralen Lohnfindung auf der Ebene der Betriebe muß der Weg gebahnt werden. Dazu ist es nötig, das in Paragraph 77 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz geregelte Zustimmungsprivileg der Tarifvertragsparteien zu einzelbetrieblichen Vereinbarungen aufzuheben und im Tarifvertragsgesetz zwingend vorzuschreiben, daß jeder Tarifvertrag eine wirksame Öffnungsklausel enthalten muß." Damit soll es der Belegschaft eines Betriebes ermöglicht werden, sich mit Unternehmensleitung und Betriebsrat auf die Abwahl von Lohn- und Arbeitszeitbestimmungen des Flächentarifvertrags zu verständigen

Der Beendigung der Tarifdiktatur dient auch die zweite Forderung, daß Tarifverträge nicht länger "faktisch den Charakter staatlich abgesicherter Kartellvereinbarungen" besitzen dürfen, weil nicht tarifgebundene Unternehmen den Wirkungen der Tarifverträge unterworfen werden. "Mit dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband muß die Wirkung von Tarifverträgen erlöschen. Solche Unternehmen müssen bei der Lohnfindung frei sein, und sie dürfen erst recht nicht bei öffentlichen Aufträgen diskriminiert werden", meinen die Experten und fordern drittens: "Die individuelle Vertragsfreiheit der Arbeitnehmer ist zu erweitern. Dazu ist das Günstigkeitsprinzip nach Paragraph 4 Absatz 3 Tarifvertragsgesetz so zu formulieren, daß Arbeitslose einen zeitlich begrenzten Einstiegslohn frei aushandeln dürfen und daß beschäftigte Arbeitnehmer nicht gehindert werden, ihr Arbeitsplatzrisiko durch Konzessionen bei der Entlohnung und der Arbeitszeit zu verringern. Weil ein rigider Kündigungsschutz als Einstellungsbremse wirkt, sollten Arbeitslose das Recht erhalten, befristete Verträge mit wesentlich längerer Laufzeit abzuschließen als heute."

Die vierte Forderung der Sachverständigen richtet sich an das Niveau der Sozialhilfe und der daran anzupassenden Arbeitslosenhilfe, das entsprechend dem Vorschlag des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger erheblich zu senken sei. "Zugleich muß es erlaubt sein, zu frei vereinbarten Löhnen unterhalb der untersten Tarifgruppe zu arbeiten. Aufgrund der Lohnsenkungen werden viele Arbeitsplätze, vor allem im Sozialbereich und bei privaten Haushalten, entstehen. Damit das Existenzminimum nicht bedroht wird, sind Zuzahlungen zum Arbeitsentgelt zu leisten, die bei Einkommen, die über das Existenzminimum hinauswachsen, allmählich wieder abnehmen."

Die Schlußempfehlung der Wirtschaftsweisen lautet: "Diese vier Maßnahmenkomplexe versprechen erhebliche Beschäftigungswirkungen. Sie sollten mit Vorrang in Angriff genommen werden. Mit einer Deregulierung des Arbeitsmarktes allein wird man der Misere auf dem Arbeitsmarkt nicht Herr. Dazu bedarf es weiterer grundlegender Reformen der sozialen Sicherung und einer Senkung der Steuern auf Arbeitseinkommen." Wird die neue Regierung diese Ratschläge beherzigen? Wenn nicht, bleibt die Arbeitslosigkeit mindestens bestehen, wenn sie nicht noch weiter ansteigt. Ist dies der Bevölkerung weiterhin relativ unwichtig, kann die neue Regierung auch damit über-leben.


 
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