© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
Pankraz,
Merkur und die Wonnen der Spaßgesellschaft

Überwiegend ärgerlich ist das diesjährige Doppelheft des Merkur, der "Deutschen Zeitschrift für europäisches Denken" aus Berlin, das sich dem Phänomen des Lachens widmen will. Zwar werden hier und da interessante, gelehrte Mitteilungen gemacht, doch unterm Strich verbleibt ein geistiges Tohuwabohu, weil man dauernd Lachen mit Spaß, bzw. "Spaßgesellschaft" verwechselt oder beides durcheinander bringt.

Außerdem hat man ein politisches "Anliegen" und bringt es penetrant zur Geltung. "Wir lassen uns das Lachen nicht verbieten", lautet die trotzige Devise, die das Heft durchzieht, "am wenigsten durch den internationalen Terrorismus. Lachen und Spaßgesellschaft sind Menschenrecht, eine Errungenschaft des Westens, und die gilt es zu verteidigen."

Nun ist Lachen zweifellos vieles, aber gewiß keine menschliche Errungenschaft. Es ist eine Bewegung des Zwerchfells, die durch gewisse mentale Affekte ausgelöst wird und sich in Lauten und Mundbewegungen äußert. Schon gewisse Affenarten kennen dieses Lachen, Meerkatzen, Gibbons, Schimpansen, und es klingt bei denen oft anmutiger und erlösender als beim Menschen.

Menschen lachen über alles Mögliche, es gibt befreites und verdruckstes Lachen, hämisches, boshaftes, bitteres, gutmütiges oder sich an drolligen logischen Widersprüchen erfreuendes, genuin intellektuelles Lachen. Zugrunde liegt wohl, wie schon Henri Bergson vor hundert Jahren höchst überzeugend dargelegt hat, ein (ziemlich überhebliches) Amüsement angesichts gewisser situationsbedingter, körperlicher oder geistiger Behinderungen beim anderen.

Wenn dieser andere zum "unbehülflichen Raumtreter" (Bergson) wird, wenn er stolpert oder sich in Netzen verfängt, dann juckt uns leicht das Zwerchfell. Das war schon bei den seligen Göttern Homers so, die angesichts des hinkenden und Netze auswerfenden Hephaistos regelmäßig in "unermeßliches Lachen" ausbrachen. So etwas kam nicht aus Bosheit, sondern aus dem unschuldigen Bewußtsein, selber Herr über Raum und Zeit zu sein, so wie Kinder über Lahme oder Schwache lachen und erst lernen müssen, daß wir keine Götter sind und aufeinander Rücksicht nehmen müssen.

Mit der "Spaßgesellschaft" hat das wirklich nur am Rande zu tun. Der letzte, in Basel tagende Kongreß der internationalen Gelotologen, also Lachforscher, hat klipp und klar festgestellt (JF 7/99), daß das Lachen in der aktuellen Spaßgesellschaft rapide abgenommen hat. Vor vierzig Jahren hätten die Menschen in Mitteleuropa durchschnittlich noch achtzehn Minuten pro Tag gelacht, heute seien es nur noch sechs Minuten. Und das trotz der unzähligen Batterien von Comedys und Lachparaden und Lachsäcken, die seitdem installiert wurden.

Der Spaß, Spaßmachen wie Spaßhaben, ist eine überwiegend ernste Angelegenheit. Wenn jemand im Fernsehen, beispielsweise als Teilnehmer einer Oldtimer-Rallye in Kitzbühl, eifrig versichert, daß es "Spaß gemacht hat", dann meint er hörbar fast immer: Es hat "trotzdem" Spaß gemacht, trotz der vielen Pannen und Ausfälle, trotz der vielen kochenden Kühler und gebrochenen Nockenwellen. Die Zeit ist uns dabei, heißt es weiter, "wie im Flug vergangen", wir haben sie "totgeschlagen". Der Spaß der "Spaßgesellschaft" ist ganz überwiegend ein Zeittotschlagen.

Je mehr Zeit die Freizeitgesellschaft gewinnt, umso mehr Zeit muß totgeschlagen werden. Und da der Spaß von Haus aus ein faules Tier ist ("Spaß" bedeutete noch im siebzehnten Jahrhundert nichts weiter als "behagliche Unterhaltung am Feierabend"), geriert er sich überwiegend als Zuschauer, schlägt nicht selber tot, repariert nicht selber Kühler und macht sich dabei die Hände schmutzig, sondern "läßt" reparieren, sieht zu, wie andere totschlagen. Das ist die Stunde der ioculatores, wie sie im alten Rom hießen, der Fernsehspaßmacher und sonstigen Unterhaltungskanonen, die in unseren Tagen die Kanäle bevölkern.

In vielen Geschichtsperioden war Zeithaben mehr oder weniger das Privileg von (Geistes-)Aristokraten, und dementsprechend fiel die Qualität des Spaßmachens aus. Man hatte Komödie und Gespräche voller raffinierter Wortwitze, man lachte "nach Maß", und an manchen Höfen war dieses Maß sogar vorgeschrieben. Inzwischen ist, wie jeder weiß, eine horrende Vergröberung der Maßstäbe eingetreten. Genau betrachtet gibt es überhaupt keine Maßstäbe mehr. Je gröber, gemeiner und dümmer, umso besser, nämlich erfolgversprechender. Speziell in Deutschland ist ein Tiefstand erreicht, der nicht mehr zu unterbieten ist.

Und das Fatale, Peinliche und Verwunderliche an dem Merkur-Doppelheft ist, daß dort - wenigstens der Tendenz nach - genau jenem nicht mehr unterbietbaren Spaßniveau und einem gemeinen und hämischen Lachen das Wort geredet wird. Normalerweise markiert die Zeitschrift ja einen geistigen Anspruch, doch in Artikeln wie denen von Harald Martenstein, Jörg Lau oder Robin Detje ist davon auch nicht die Spur mehr zurückgeblieben.

Völlig ungeniert wird der besoffen grölende Ballermann als Gipfelpunkt demokratischer Lachkultur gefeiert, und wer dagegen etwas einzuwenden hat, dem wird höhnisch bedeutet: Du brauchst doch nicht einzuschalten, du bist ja nur neidisch. Gestalten wie Harald Schmidt oder Marcel Reich-Ranicki werden als "Rebellen" gepriesen, weil sie aus dem intellektuellen Ghetto ausgebrochen seien und den Weg zur "Masse" gefunden hätten. Für Horkheimer/Adornos Kritik an der Unterhaltungsindustrie gibt es nur Spott. Jede Diskussion über das schwierige Verhältnis von E-Kultur und U-Kultur wird aggressiv und mit ausdrücklichem Hinweis auf die "Demokratie" verweigert. Nun, suum quique, Jedem das Seine, darf man hier vielleicht einmal sagen. Soll der Merkur sehen, wie er damit zurechtkommt.


 
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