© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
Das Kreuz mit dem Kreuz
Das Wesen aller Kultur ist Religion: Die Grünen stehen für eine Entchristlichung
Werner Olles

Ein etwa vierzig Zentimeter großes, schlichtes Holzkreuz an der Rückwand des Sitzungssaales im Dietzenbacher Kreishaus sorgte Anfang September für einen Eklat, der weit über die Grenzen des südhessischen Städtchens Aufsehen erregte. Sechs Kreistagsabgeordnete der Grünen fühlten sich nämlich "in ihren religiösen Gefühlen verletzt", weil der Kreistagsvorsitzende Faust (CDU) eine Beratung darüber, ob das Kreuz abgehängt werden sollte oder nicht, erst beim nächsten Treffen des Präsidiums zulassen wollte. Daraufhin verließ die Mehrheit der grünen Kreistagsfraktion unter Protest die Sitzung und erwägt nun eine Klage, da das Kreuz die von der Landesverfassung vorgesehene religiöse Neutralität des Staates verletze. Zudem sei das christliche Symbol "ohne Absprache" angebracht worden, monierte die stellvertretende grüne Fraktionsvorsitzende Ursula Chmelik.

Während CDU und FWG (Freie Wähler) mit lauten Buh-Rufen reagierten, applaudierte die SPD den Ausführungen der grünen Abgeordneten, die forderten, das Kreuz "aus Respekt vor Andersgläubigen und Atheisten" abzuhängen. Es sei "unhaltbar, daß in offiziellen Räumen der Kreisverwaltung ein religiöses Symbol hängt", monierte eine grüne Abgeordnete, die sich selbst als "gläubige Katholikin" bezeichnete.

Der CDU-Landtagsabgeordnete Rüdiger Hermanns empfand hingegen das Verhalten der Grünen als "einen Schlag ins Gesicht" eines jeden Menschen, dem christliche Nächstenliebe etwas bedeute. Er fühle sich "an so manches chaotische Verhalten der Grünen-Landtagsfraktion" erinnert. Hermanns definierte das Kreuz als "Heilszeichen" oder "Zeichen für das Leben". Angesichts der mannigfaltigen Probleme des Kreises Offenbach müßten sich die Grünen fragen lassen, ob es ihnen lediglich um den "Protest des Protests wegen" gegangen sei. Als überzeugter Christ lasse er zwar jedem seinen Glauben, sei aber nicht bereit, ein Holzkreuz zum Politikum werden zu lassen. Das Ganze habe für ihn den "schalen Beigeschmack eines Wahlkampfmanövers". Im übrigen handele es sich bei dem schlichten Holzkreuz um ein Geschenk der beiden Pfarrer, die das Kreishaus während der Akademischen Feier eingesegnet hatten.

Wie immer diese Sache auch ausgehen wird, sie ist symptomatisch für eine Zeit, in der der Mensch vom Geistlichen und Geistigen so weit abgekommen ist, wie nie zuvor. Ein kleines Holzkreuz macht die Krankheits- und Dekadenzerscheinungen unserer gott- und glaubenslosen Gesellschaft auf einmal auch für Menschen augenfällig, die sonst mit derartigen Bewertungen eher zurückhaltend umgehen. Man lese in diesem Zusammenhang nur die Kommentare der Regionalpresse, die unisono darauf hinauslaufen, daß sich die Grünen an diesem Kreuz wohl "gehörig verhoben" haben (Rhein-Main-Ausgabe der FAZ vom 6. September) oder darauf hinweisen, daß "wir uns nun mal in einem Land befinden, das von jahrtausendealter christlicherTradition geprägt ist" und die Grünen zur "Toleranz" ermahnen, die diese "so gern und oft für sich reklamieren" (Offenbach Post vom 5. September).

Aber wer wollte es den Grünen, die so gerne von Liberalität reden, aber damit nichts anderes als einen schrankenlosen Liberalismus meinen, eigentlich übelnehmen, wenn sie die Gunst des düsteren Augenblicks nutzen, um kämpferisch für ihr Anliegen einer verstärkten Entchristlichung Deutschlands zu werben. Und während die Grünen durch das neue Zuwanderungsgesetz und die geplante Aufnahme der Türkei in die EU eine fortschreitende Islamisierung und Orientalisierung unseres Landes anstreben, und damit den Ausweg aus der analytischen Sackgasse ihres gescheiterten Multi-Kulti-Projekts gefunden zu haben scheinen, bleiben den unverdrossenen Verteidigern abendländischer Werte angesichts des Nichtvorhandenseins eines stabilen Glaubenssystems nichts als Rückzugsgefechte.

Es scheint, daß die Grünen als einzige politische Kraft von Bedeutung Oswald Spenglers gegen den angelsächsischen Zivilisationsbegriff gerichteten Kulturbegriff verstanden haben: "Das Wesen aller Kultur ist Religion" und "Kultur ist das Dasein von Nationen in staatlicher Form". In dieser Verschmelzung der religiösen und ehtnonationalen Determinanten sehen sie die negative Aufhebung ihrer eigenen kulturbiologischen Vorstellungen. Jenseits des lärmenden Konfusions-Getöses, das einem von links und rechts in die Ohren dröhnt, praktizieren sie kaltschnäuzig einen geokulturellen und geopolitischen Realismus. Ihr identitätspolitischer, fortschrittsoptimistischer Erweckungsgesang ist in diesem Sinne ein in der Zerrissenheit zwischen Fortschrittsglauben und Dekadenzbewußtsein geborener Selbstmobilisierungsaufruf, der aber seine Wirkung nicht verfehlt.

Das verbale Vernichtungsritual gegenüber dem kleinen Holzkreuz im Dietzenbacher Kreishaus ist somit ein anschauliches Exempel dafür, daß in Zeiten eines gleichmacherischen globalen Multikulturalismus und einer wachsenden Gleichgültigkeit gegenüber dem Christentum der Feind längst im Inneren steht. Die negative Selbstdefinition des Okzidents, die immer unterschlägt, daß das christliche Abendland durch die Okzidentalisierung der Welt nicht nur sich selbst, sondern den anderen gleich mit erfand, verhindert jedoch heute zuverlässig die Herausbildung eines Fundaments kultureller Identität.

In der Machtlogik der Grünen und ihrer Sympathisanten bedeutet eine Wiederbelebung der Idee vom christlichen Abendland die Abkehr von westlichen Universalitätsprinzipien und die Rückkehr zu einer Welt autarker Kulturen. Daher rührt ihr Haß auf das christliche Kreuz, deswegen ihre Dämonisierung metaphysischer Symbole zur Kennzeichnung menschlicher Gruppenzugehörigkeit.


 
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