© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
Wendungen, Widersprüche und Wahrheiten
Die Ermordung des südtiroler Politikers Christian Waldner erfährt eine weitere literarische Aufarbeitung
Beatrix Madl

Zum Mord an dem Südtiroler nationalkonservativen Landtagsabgeordneten Christian Waldner ist nun bereits das dritte Buch erschienen, als Biographie des Opfers, verfaßt von dessen Vater Franz Waldner.

Die Tat geschah am 15. Februar 1997: In seinem Anwesen oberhalb Bozens wird der 37jährige Politiker mit fünf Schüssen niedergestreckt. Fünf Tage später gesteht sein politischer Mitstreiter Peter Paul Rainer den Mord. Beide standen zunächst an der Spitze der Jungen Generation in der Südtiroler Volkspartei (SVP), gründeten dann aber die Freiheitlichen, mit denen sie sich programmatisch an die FPÖ anlehnten. Ihnen ging es um Selbstbehauptung ihrer Volksgruppe gegenüber dem zentralistischen Italien. Rainer widerrief sein Geständnis später, wurde aber dennoch in einem Indizienprozeß in Bozen am 11. August 1997 zu zweiundzwanzigeinhalb Jahren Haft verurteilt. Im Berufungsverfahren erreichten seine Verteidiger am 2. Dezember 1998 in Trient einen Freispruch, der am 29. November 1999 wieder aufgehoben wurde. Am 20. Mai 2000 verurteilte das Oberlandesgericht in Brescia den Südtiroler Ex-Politiker erneut wegen des Mordes zu zwanzigeinhalb Jahren Gefängnis und erließ Haftbefehl. Rainer, der inzwischen als Radiomoderator in Deutschland arbeitete, tauchte unter und wurde am 4. Januar vorigen Jahres in Wien aufgespürt und festgenommen. Inzwischen rechtskräftig verurteilt, verbüßt er Strafhaft in einem norditalienischen Gefängnis.

Der Fall Waldner war einer der spektakulärsten Mordfälle in dem kleinen Land zwischen Brenner und Salurner Klause. Nicht nur die Stellung des Protagonisten, sondern auch die Umstände machten die Geschichte zum Polit- und Justizthriller. Der Bozener Journalist Artur Oberhofer schürte schon nach der ersten Verurteilung in einem Buch Zweifel an der Schuld des Angeklagten und damaligen Untersuchungshäftlings Peter Paul Rainer. Es ist ein "leidenschaftliches Verteidigungsbuch", das in zweiter Instanz sicher auch zum Freispruch beitrug. Es weckt zudem den Verdacht, daß Rainer die Tat aus politischen Gründen in die Schuhe geschoben wurde. Oberhofers folgendes Buch geriet dagegen zu einer moralischen Anklageschrift gegen Peter Paul Rainer. Dieser habe den Mord nicht begangen, sei aber ein Doppelagent, der aus der Südtiroler Patriotenszene dem österreichischen Heeresnachrichtenamt und dem italienischen Militärgeheimdienst berichtet habe.

In der jahrelangen Beschäftigung der Südtiroler Medien mit dem Leben und dem Psychogramm des Verurteilten Peter Paul Rainer verblaßte das Schicksal des Opfers, der sich für seine Volksgruppe eingesetzt hatte. Die Angehörigen des Tatopfers, die in allen Prozessen als Nebenkläger auftraten, mußte dieser Umstand tief treffen. Waldners Vater holte, nachdem das Urteil im Fall seines Sohnes rechtskräftig wurde, zum Gegenschlag aus. In der jüngst erschienenen Biographie über Christian Waldner schreibt Vater Franz, Rainer habe seinen Sohn "meuchlings ermordet". Die Bozener Staatsanwaltschaft sucht zwar offiziell immer noch nach einem unbekannten Mittäter. Vater Waldner interessiert dieser Umstand nicht, er erwähnt ihn in seinem Buch nicht einmal. In angefügten Nachrufen rügen Autoren die "einseitige Berichterstattung" des Artur Oberhofer. Zugleich bedient sich Vater Waldner aber gerne dessen kühner These, Rainer sei ein Agent gewesen. Was Oberhofer, angesichts der schwachen Indizienlage, noch im Konjunktiv formulierte, schreibt Waldner im Indikativ und kombiniert die These mit der Überzeugung der italienischen Justiz: Rainer habe seinen Sohn im Auftrag des italienischen Militärgeheimdienstes SISMI ermordet. Was wie die langersehnte Auflösung eines Krimis klingt, ist ein eindeutiger Meinungsbeitrag: Waldner liefert keine Beweise für seine Behauptung. In Gegensatz zu Franz Waldners Behauptung geht zum Beispiel die italienische Justiz von einer Erpressung mit einem gefälschten Abiturzeugnis als Mordmotiv aus. Franz Waldner argumentiert hingegen, Rainer habe zwar ohne Abitur studiert, jedoch nie ein Zeugnis zur Hochschulreife gefälscht. Folglich könne ihn sein Sohn auch nie mit einer Fälschung erpreßt haben. Dagegen meldete die Südtiroler Zeitung Dolomiten bereits einige Tage nach dem Mord, am 27. Februar 1997 mit Berufung auf die Universität Innsbruck, daß eben dort zur Einschreibung 1989 doch ein Abiturzeugnis von Peter Paul Rainer vorgelegen habe, ausgestellt vom Niccolo Machiavelli Lyzeum in Florenz. Da Rainer erst 1999 sein Abitur nachmachte, kann es sich wohl nicht um eine echte Urkunde gehandelt haben.

Franz Waldner: Die Wahrheit über Christian. Bozen 2002, 247 Seiten, 18 Euro

Artur Oberhofer: Die Tat, die Beweise, die Hintergründe. Bozen 1998, Edition Arob, 18 Euro

ders.: Die neuen Fakten, Bozen 1998, Verlag Die Neue Südtiroler Tageszeitung, 188 Seiten, 18 Euro


 
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