© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    40/02 27. September 2002

 
Über die Kunst des Strippenziehens
Gerd Langguth beschreibt die Krise und Zukunft der CDU nach der Ära Kohl
Alexander Barti

Es gibt einige wenige Bücher auf dem Markt der aktuellen Politikanalyse, die erst interessant werden, wenn sie veraltet sind. Gerd Langguths ausführliche Untersuchung über die Machtverhältnisse in der CDU während und nach der Ära Kohl ist ein solches Buch. Geschrieben wurde es bis Anfang 2001, also in einer Zeit, als die Union sich langsam von dem Trauma der schwarzen Koffer und Konten zu erholen begann.

Ausgehend von einem ersten Kapitel, in dem der Politologe und Ex-CDU-Parlamentarier Langguth in prägnanten Sätzen über das Wesen der Macht philosophiert, kommt er bald auf den vorläufig letzten Großmeister machterhaltender Taktiken zu sprechen, auf Helmut Kohl. Denn darin werden sich alle einig sein: Man mag den Pfälzer politisch oder menschlich vielleicht nicht gemocht haben, aber daß er über 20 Jahre an der Spitze seiner Partei stand und 16 Jahre lang das Bundeskanzleramt besetzt hielt, wird man nicht nur auf Zufälle zurückführen können. Dem Leser werden daher handbuchartig längst verklungene Namen präsentiert, mit denen die Jüngeren schon lange nichts mehr anfangen können. Oder wer kennt noch Anton Pfeifer, Horst Teltschik, Waldemar Schreckenberger?

Langguth seziert auch die noch weiter darunter liegenden Ebenen des Partei- und Ministerialapparat und verdeutlicht damit immer wieder, wie sehr Politik die hohe Kunst des Strippenziehens ist und wie wichtig es sein kann, eine tüchtige Sekretärin - bei Kohl die sagenumwobene Juliane Weber - zu haben. Über diese Dame, die wohl zu den wichtigsten Bezugspersonen des "ewigen Kanzlers" gehörte, finden sich in der Analyse nur Andeutungen. Da ist von ihrem "bis hin zum Ordinären reichenden Charme" die Rede, oder von ihrem riesigen Schreibtisch, auf dem für Akten kaum Platz war, so überladen sei er gewesen mit einem Heer von kleinen Elefanten.

Sehr plastisch schildert Langguth den "späten" Kohl, wie er zusehends die Bodenhaftung verlor und in seine vorhersehbare Niederlage von 1998 schlitterte. Doch weit davon entfernt, die Politik den Jüngeren zu überlassen, bestimmte "der Dicke" auch nach seinem kläglichen Abgang aus dem Bundeskanzleramt die Geschicke der Partei - bis der Parteispendenskandal ihn endgültig von den unmittelbaren Hebeln der Macht verdrängte. Erst dann traten die Nutznießer dieses Niedergangs ins Rampenlicht. Treffsicher hat sich Langguth drei Personen herausgegriffen: Angela Merkel, Friedrich Merz und Edmund Stoiber. Während die beiden Erstgenannten in der Bundespartei ziemlich überraschend das Ruder in die Hand genommen haben, ohne sich jedoch ganz aus der Deckung zu wagen, wird Stoiber als "Joker" charakterisiert, der erst mal abwartet, wie sich Merkel und Merz gegenseitig aufreiben. Dabei bekommt der Leser noch einmal die dramatische Situation vorgeführt, als sich die "Sphinx" Merkel in einem Beitrag in der FAZ von ihrem Ziehvater Kohl lossagte, um kurz darauf den Parteivorsitz zu übernehmen. Merz, der neue Fraktionsvorsitzende konterte, indem er die "Leitkultur-Debatte" vom Zaun brach - und letztlich im Trommelfeuer der medialen Empörung alleingelassen und schwer beschädigt wurde. Daß der "Joker" aus München den Umgang mit der Macht gelernt hat, bestreitet auch Langguth nicht, sondern fügt prophetisch hinzu, daß nur er "innerhalb der Union die größten Chancen" für die Kanzlerkandidatur habe.

Die abschließenden Ratschläge, wie man eine sinnvolle Oppositionspolitik zu betreiben habe und wie die Rückkehr zur Macht am schnellsten zu bewerkstelligen sei, bleiben in Langguths kenntnisreicher Analyse erstaunlich vage.

Gerd Langguth: Das Innenleben der Macht. Krise und Zukunft der CDU. München 2001, geb., 384 Seiten, 20,50 Euro


 
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