© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de   41/02 04. Oktober 2002


Vor dem Untergang

Die CDU kann nur durch noch größere Wählerflucht zur Vernunft kommen
Dieter Stein

Auch eine Woche nach der Wahl hat die Union immer noch nicht die volle Dimension ihrer katastrophalen Niederlage vom 22. September bei den Bundestagswahlen erfaßt. Die Union hat eines ihrer schlechtesten Wahlergebnisse seit 1949 eingefahren. Sie will das nur nicht wahrhaben. Wie ein Telekom-Kleinaktionär, der sich den Kursverlauf der ins Nichts stürzenden Börsenkurse schönrechnet, so interpretiert die amtierende CDU-Chefin Angela Merkel das Mißtrauen der Wähler gegenüber ihrer Partei kurzerhand als "Stabilisierung". Die Union habe es geschafft, "wieder auf Augenhöhe mit der SPD zu kommen".

Tatsächlich tritt die volle Konzeptions- und Orientierungslosigkeit der bürgerlichen Opposition erst jetzt richtig zutage. Personell ist die CDU am Ende. Vernichtend analysierte einer der bestinformiertesten Parlamentskorrespondenten, Karl Feldmeyer, dieser Tage die Konstitution der Partei im Bundestag: Die CDU habe es zunehmend schwer, "politisch und sachlich ernstzunehmende Persönlichkeiten zu benennen", schreibt er. Merkel hat mit Friedrich Merz einen zwar leichtgewichtigen, aber wenigstens ansatzweise profilierten Mann abserviert. Damit fehlt der Fraktion ein rhetorisch versierter Haushaltspolitiker, der der Regierung im Bundestag Paroli bieten könnte. Ferner mangelt es an außen-, verteidigungs- und sicherheitspolitischem Sachverstand, "Pflüger käme in Betracht", befürchtet Feldmeyer. "Der Verlust personaler Kompetenz in allen militärischen Fragen bleibt unübersehbar", es sei die "Norm in der Fraktion eher enttäuschend".

Inhaltlich und strategisch will die CDU ihren Kurs fortsetzen, wie einst die Titanic auf Kollisionskurs. Die künftig allein die Geschicke der CDU lenkende Fraktions- und Parteivorsitzende Angela Merkel sprach sich in der vergangenen Woche dagegen aus, "jetzt eine Grundsatzdebatte über die Strategie zu beginnen". Der CDU hätten schließlich nur 0,5 Prozent zum Sieg gefehlt. Eine "Debatte über rechts oder links, die Werteorientierung der CDU oder schärfere Konturen" sei überflüssig, so Merkel. Woran es gemangelt habe? Wie immer, lediglich an "Vermittlung und Wahrnehmung".

Nun hat die CDU entdeckt, daß sie in Städten schlechter abschneidet als auf dem Land. Eine brandneue Erkenntnis, die in revolutionäre Schlußfolgerungen münden dürfte. So will Merkel jetzt "die kulturelle Hoheit, die Deutungshoheit über das Lebensgefühl der Menschen" gewinnen. Auch der abgesägte Friedrich Merz, der immerhin im Gegensatz zu Merkel, "noch einmal über die strategische Ausrichtung der Union insgesamt sprechen" will und vorsichtig andeutet, man müsse auch wieder "unterscheidbarer von den Sozialdemokraten werden", machte plötzlich "neue kulturelle Szenen" in den Städten aus, in denen es "kaum bekannte Vertreter" gebe, die sich zur Union bekennen. Neue Strategie: CDU goes Hip-Hop?

Auf diesem deprimierenden intellektuellen Niveau bewegt sich die derzeitige Diskussion und es ist bezeichnend, daß die meisten "bürgerlichen" Zeitungen in Deutschland der Zustand der CDU weitgehend kalt läßt. Als sei man sich im Grunde klar darüber, daß die nun durch die Rezession erzwungenen wirtschaftlichen Reformen und Einsparungen effektiver von einer SPD-geführten Regierung gegen die Gewerkschaften durchgesetzt werden können als von einem zaghaften Stoiber-Kabinett.

Deutschland hat Rot-Grün mit knapper Mehrheit nicht wiedergewählt, weil seine Regierungsbilanz so gut gewesen wäre. Man hat es der Union offensichtlich nicht zugetraut, daß sie es besser kann. Zu klar scheint es den Deutschen - 16 Jahre Kohl noch in bester Erinnerung -, daß sich unter einer CDU-geführten Bundesregierung in vielen Punkten überhaupt nichts Wesentliches geändert hätte:

- Die Union beabsichtigt nicht, grundsätzlich den Staat zurückzudrängen. Mit einer Senkung der Staatsquote wäre unter einer CDU-geführten Regierung nicht ernsthaft zu rechnen. Auf das jetzige Niveau war die Staatsquote schließlich von Kohl geschraubt worden.

- Die Union wird nicht als weniger korruptionsanfällig angesehen als die SPD. Die Union ist sogar oft in dieselben Korruptionsaffären verwickelt wie die SPD - siehe Köln. Es nimmt ihr also keiner ab, daß unter ihrer Führung Korruption wesentlich stärker bekämpft würde.

- Die Union will genausowenig wie die SPD grundsätzlich gegen die Verquickung von Parlaments- und Aufsichtsratsmandaten vorgehen. Die Wähler sehen so in der Opposition dieselben Lobbyisten am Werke wie in den Regierungsparteien.

- Die Union beabsichtigt genausowenig wie die SPD grundsätzlich etwas an der Parteibuchwirtschaft ändern. Die "grassierende Vetternwirtschaft" (Hans Herbert von Arnim) wird von CDU und SPD gleichermaßen verteidigt.

- Es gibt keine ernstzunehmenden Ansätze bei der Union, den Parteienstaat durch plebiszitäre Elemente zu erneuern. Im Gegenteil: In der vergangenen Legislaturperiode scheiterte ein Vorstoß der rot-grünen Bundesregierung zur entsprechenden Änderung des Grundgesetzes an den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion.

- Es gibt keine ernstzunehmenden Ansätze zur Entbürokratisierung der staatlichen Verwaltung. Auch hier scheint es für den Wähler mittlerweile gleichgültig zu sein, wer das Dickicht aus Gesetzen und Verordnungen noch undurchlässiger macht.

- Die CDU wird auch in der Frage der Zuwanderung nicht als Alternative wahrgenommen. Der größte Zustrom an Zuwanderung fand in der Ära Kohl statt. Man traut es der CDU nicht zu, diesen Trend noch umzukehren. Die Positionen beim Zuwanderungsgesetz sind kaum zu unterscheiden.

- Außenpolitisch hat die CDU die Initiative verloren. Der SPD ist es sogar gelungen, sich des Themas Patriotismus im Rahmen eines proklamierten "deutschen Weges" zu bemächtigen. Dem hatte die CDU nichts entgegenzusetzen.

Zuletzt hat es die CDU bis heute nicht kapiert, daß es unausweichlich zu einer konservativen parlamentarischen Alternative zur Union kommen muß, wenn es für eine dauerhafte strukturelle Mehrheit gegen Rot-Grün reichen soll. Doch immer noch bekämpft die Unions-Führung in politisch verantwortungsloser Weise jede parteipolitische rechte Alternative fanatischer als dies selbst Linksextremisten tun.

Diese Anbiederung an die SPD einerseits und die Erosion des konservativen Flügels andererseits, gekoppelt mit einem mangelhaften Reformkonzept für Staat und Gesellschaft, haben die Union in die Defensive getrieben. Es bedarf wohl noch stärkerer Wählerflucht, damit diese Erkenntnis zur Unions-Spitze durchdringt. Solange kann sich die SPD ihrer Führung in Deutschland sicher sein.


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