© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002

 
Aufschrei des Gewissens
Kardinal Meisner hat auf Mißstände innerhalb der Kirche hingewiesen
Alexander Barti

Die von Christus unmittelbar gestiftete Kirche hat eine hierarchisch-monarchistische Struktur. An ihrer Spitze steht nicht nur der souveräne weltliche Herrscher eines - inzwischen verstümmelten - Staates, sondern auch der höchste Stellvertreter Christi, der Papst. In ungebrochener apostolischer Sukzession wacht er seit dem heiligen Petrus über die Geschicke des "mystischen Leibes" Gottes, besonders inspiriert von dem heiligen Geist.

Dem Papst unterstellt sind die obersten Kirchenfürsten, die Kardinäle, die wiederum über die Bischöfe weisungsbefugt sind - und so fort, bis herunter zum tumbsten Analphabeten. Dem modernen Menschen sind diese archaischen Strukturen fremd, obwohl auch er meistens verstehen kann, daß ein Vorstandsvorsitzender etwas mehr zu sagen hat - und wahrscheinlich auch mehr weiß - als die einfache Arbeiterin oder der Angestellte. Kardinäle haben aber außerdem noch die Aufgabe, den Glauben und das Papsttum bis aufs Blut zu verteidigen. Die purpurrote Farbe ihrer Kleidung soll diese Bereitschaft symbolisieren. Insofern hat der Kölner Kardinal Meisner schlicht seine Pflicht erfüllt, als er am 25. September in Fulda aus Anlaß der Herbst-Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz auf gravierende Mißstände innerhalb der Kirche hinwies. In seiner Predigt hieß es wörtlich: "Die Apparate sind oft so mächtig geworden, daß wir uns selbst als Bischöfe häufig hilflos und machtlos vorkommen und dann gute Miene zum bösen Spiel machen...Wir sind heute durch Gottes Erbarmen in eine Zeit gestellt, in der die Kirche in unserem Land vor lauter Strukturen, Statuten, Sekretariaten und Kommissionen zu einer reinen Organisation zu erstarren droht. Wenn die Struktur stärker ist als das Leben, das von ihr geschützt werden soll, dann wird sie zur Gefahr, das Leben zu erdrücken und zu töten", erklärte der Purpurträger und ergänzte, daß dadurch zwar viele Verantwortung mittrügen und auch mitredeten, aber "Glaubenswissen nur noch sehr begrenzt vorhanden" sei. Und anklagend fuhr er fort, daß "Blinde nicht Führer von Blinden" sein könnten. Besonders schrecklich mögen die bedingungslosen Ökumenisten den Hinweis empfunden haben, das Leben sei "kein unverbindliches Geplänkel, sondern prägend für die Form ewigen Daseins, das sich im persönlichen Gericht" entscheide. Da heiße es nicht: "Wir kommen alle, alle in den Himmel", sondern ganz schlicht: "Die dem Worte Jesu gefolgt sind, werden zu seiner Rechten sein". Selten hat es ein hoher katholischer Würdenträger gewagt, die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) manifeste "Allerlösungs-Theologie" so deutlich in Frage zu stellen.

Ein empörter Aufschrei der Apparatschiks war mit der Predigt vorprogrammiert und stellte sich auch prompt ein. Allen voran meldete sich das völlig überflüssige Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) - eine pseudo-katholische Gegenhierarchie - in Gestalt ihres Präsidenten Hans Joachim Meyer, der sich bemüßigte zu erklären, Meisner renne mit seinem "Institutionen-Klatschen" nur dem Zeitgeist hinterher und verstehe nichts von "wirklichem Dialog". Ebenso "empört" zeigten sich andere Gruppen, zum Beispiel der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und die katholische Frauen-Gemeinschaft (kfg). Sogar die Politik meldete sich zu Wort, Hermann Kues (CDU) - im Schulterschluß mit den Grünen - sprach gar von einer "verlorenen Bodenhaftung" des Kardinals. Bei so viel Gegenwind war es nicht verwunderlich, daß selbst der vom Zweifel zernagte Kardinal Lehmann zu seinem Mitbruder opportunistisch auf Distanz ging.

Aber es gab auch Zustimmung, so zum Beispiel vom Forum Deutscher Katholiken: "Kardinal Meisner hat den Punkt getroffen mit seiner Kritik an den Räten, Kommissionen und Komitees in der katholischen Kirche Deutschlands", erklärte ihr Vorsitzender Hubert Gindert und verwies auf die vielen Christen, die in Schulen und Universitäten gemobbt würden, weil sie an der unverkürzten und unverfälschten Glaubenswahrheit festhielten; diese seien die Zeugen Christi in unserer Zeit, und sie seien Meisner schlicht dankbar dafür, daß er ihre Not mitten in der kirchlichen Wirklichkeit von heute deutlich benannt habe, so Gindert. Ein Glaubenszeugnis werde jedoch nicht dort abgelegt, wo gespreizte Funktionäre eine zweite Hierarchie aufgerichtet hätten. Er mahnte einen Neuaufbruch an, "der auch gerade dort organisatorische und gedankliche Verkrustungen aufbrechen muß, wo man sich doch so sehr flexibel, aufgeschlossen und modern wähnt und gibt, und doch nur erstarrt ist in sehr zeitbedingten Trugbildern von Kirche und Christentum."

Da Meisner für seine offenen Worte spätestens seit seinem Vergleich von Abtreibungstechniken mit der Anwendung von Zyklon-B bekannt ist, dürfte die mediale Ruhe auch nach seiner Predigt bald wiederhergestellt sein. Sie täuscht aber nicht darüber hinweg, daß in der Kirche ein gewaltiger Machtkampf tobt. Schon der nächste Papst wird entscheiden müssen, ob er den vor genau 40 Jahren mit dem Zweiten Vatikanum eingeschlagenen Weg des totalen Umbaus der Kirche - mit den von Meisner beklagten Folgen - fortführt, oder ob er der Verweltlichung Einhalt gebietet. Die Zeit der faulen Kompromisse und geschwätzigen Dialoge ist zu Ende.


 
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