© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Fehlersuche
Karl Heinzen

Der Nachname von Gesine Lötzsch wird mit einem langgezogenen Umlaut ausgesprochen. Das ist, wie sie in der "tageszeitung" einräumte, derart kompliziert, daß sie es schwer hat, richtig berühmt zu werden. So wie sie ringen alle in der PDS im Augenblick um eine Erklärung, warum die Welt so ist, wie sie ist. Gerade noch zwei Vertreterinnen darf die Partei in das hohe Haus unter der Glaskuppel entsenden. Das sind zwar mehr, als man sich 1989 eigentlich ausrechnen durfte. Das sind aber weniger, als man, verwöhnt durch die warmherzige Akzeptanz, auf die man allenthalben zu stoßen meinte, noch vor wenigen Wochen zu hoffen wagte. Der Platz der plumpen Vier, die auf Riesenplakaten die Republik amüsierten und einen ungelenken Kontrast zur menschenverachtenden Jovialität der grünen Sieben setzten, ist bis auf weiteres doch nicht die Koalitions- oder Tolerierungsverhandlung mit Gerhard Schröder.

Sicher, die PDS hat Pech gehabt. Die Flutkatastrophe ließ die Schwachen Schutz bei den Starken suchen und nicht bei jenen, die sich ihrer Interessen annehmen. Auch sind der PDS im Wahlkampf Fehler unterlaufen. Gregor Gysi hatte den Beweis, in der alten Bundesrepublik angelangt zu sein, gerade vor der ganzen Öffentlichkeit erbracht, als ihm das Ziel plötzlich nicht mehr erstrebenswert erschien. Der Einfluß der Partei in den Medien wurde überschätzt. Jene Zielgruppen im Westen, um derentwegen man Stammwähler bereitwillig opferte, haben sich als nicht ansprechbar herausgestellt.

Der eigentliche Fehler jedoch ist ein grundsätzlicher: Die PDS glaubt, aus dem Scheitern der DDR die Lehre ziehen zu müssen, daß deren Bild von der bürgerlichen Demokratie vernachlässigt werden darf. Man bemüht sich nicht mehr darum, die gesellschaftlichen Mächte hinter der parlamentarischen Regierungsform zu erkennen und zu denunzieren, sondern gefällt sich darin, diese als eine Abbildung des Volkswillens zu betrachten. Die demokratischen Spielregeln werden verinnerlicht, ohne danach zu fragen, welchem Interesse ihre Einhaltung dient.

Die PDS betreibt keine Mimikry. Hinter den naiven Loyalitätsbekundungen ihrer Stars zur kapitalistischen und bürgerlich-demokratischen Ordnung verbergen sich keine anders lautenden Absichten. Mit Sozialismus verbinden sie nicht mehr als die kitschige Erinnerung an wohlige Momente im alltäglichen Leben in der DDR. Sie teilen die utopischen Vorstellungen über den Segen, den der Kapitalismus der Menschheit zu spenden imstande ist, und wollen diesen durch seine Hegung vor der Selbstzerstörung bewahren, anstatt ihn über sich hinaus zu treiben. Die sozialistische Bewegung, die einst begreifend auf Veränderung zielte, hat mit der PDS ihren intellektuellen Tiefpunkt erreicht. Eine solche Partei kann gar nicht anders, als mit den anderen zu konkurrieren. Die PDS hat aus der Geschichte das, was für sie zu lernen war, nicht gelernt. Sie ist nicht klüger als die SED. Aber erfolgloser.


 
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