© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002


Sparen bis es quietscht!
Berlin I: Rot-rotes Chaos bei den haushaltspolitischen Sparplänen in der Hauptstadt
Ronald Gläser

Für die Kinder der Zinowald-Grundschule ist die Geldnot des Landes Berlin kein abstrakter Begriff aus der Erwachsenen-Welt. Die ABC-Schützen sollen künftig ihre eigene Klorolle mitbringen, weil der Schule das Geld für das notdürftigste Geschäft fehlt. Die Schulleitung hat beschlossen, lieber dort, als bei den Lehrmaterialen zu sparen.

Diese Stilblüte aus dem Berliner Alltag offenbart die hoffnungslose Lage, in der die verschuldete Bundeshauptstadt steckt. Bildungssenator Klaus Böger (SPD) sprach zwar von einer "desorientierten Schulleiterin". Grundsätzlich leugnet der Senat aber die hoffnungslose Situation des Bundeslandes nicht.

Nach seinem Amtsantritt an der Spitze des rot-roten Senats hatte Klaus Wowereit angekündigt zu "sparen, bis es quietscht." Die finanziellen Vorhaben des SPD/PDS-Senats haben sich bislang allerdings als Pannenserie entpuppt. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem neuen Finanzsenator, Thilo Sarrazin (SPD), zu.

Nach seinen großsprecherischen Ankündigungen, Berlin einen harten Konsolidierungskurs aufzuerlegen, folgte im Juni die erste Pleite. Er vergab eigenhändig einen Auftrag an eine Unternehmensberatung für rund 200.000 Euro - entgegen den Vergaberichtlinien der öffentlichen Hand. Die Grünen reagierten mit einem Mißbilligungsantrag. Im Juli wurde der Doppelhaushalt 2002/2003 ins Parlament eingebracht. Zum Entsetzen seiner Genossen kommentierte Sarrazin seinen eigenen Gesetzesvorschlag als verfassungswidrig. Dies ist der Fall, wenn die Höhe der Neuverschuldung die Summe aller Investitionen überschreitet. Mit dem Finanzsenator als Kronzeugen erklärte die Opposition aus CDU, FDP und Grünen sofort, Klage beim Landesverfassungsgericht einreichen zu wollen.

Die Argumentation der Oppositionsparteien wird noch durch ein juristisches Gutachten untermauert. An einer Niederlage des Senats wird kaum gezweifelt. Auch der Berliner Senat sieht sich nun gezwungen, zu klagen: Vor dem Bundesverfassungsgericht will das Land den Bund in die Pflicht nehmen. Dazu muß die Haushaltsnotlage gerichtlich festgestellt werden.

Doch politische Schaukämpfe vor Gericht können die finanziellen Probleme der Stadt nicht lösen. Berlin hat seit zehn Jahren kaum ein wirtschaftliches Wachstum erlebt. Eine Firmenpleite jagt die nächste. Und die Metropole schleppt 570.000 Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger mit sich herum. Deshalb verschärfte Sarrazin abermals seinen Ton und ließ eine "Giftliste" ausarbeiten. Auf dieser "Streichliste" wurden sämtliche möglichen Einsparungen aufgeführt. Kurz vor der Bundestagswahl sickerten - zum Entsetzen der Wahlkämpfer - Details daraus an die Öffentlichkeit.

345 bis 516 Millionen Euro sollen an den Hochschulen eingespart werden. Die Schließung einer der drei Universitäten hängt seit Jahren wie ein Damoklesschwert über der Stadt. Nachdem der Diepgen-Senat die Zahl der Studienplätze bereits von 110.000 auf 85.000 zurückgefahren hat, will Sarrazin diese Zahl auf 60.000 reduzieren.

Ferner schwebt dem Senator eine Verdoppelung der Kita-Gebühren vor (SPD-Slogan: Wir sorgen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf). Die Zuschüsse für Opernhäuser und den Tierpark Friedrichsfelde sollen abgeschafft werden.

Auch die Berliner Beamten und angestellten wurden von den Sparvorschlägen geschockt. Ihnen blüt eine vierjährige Dauernullrunde ohne Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die sozialistische Senatorenriege war entsetzt ob der Vorstellungen ihres Kollegen. Der SPD-Fraktionschef Michael Müller wandte sich beruhigend an die Öffentlichkeit: Die Aufregung um die "Gruselliste" sei überflüssig. Später verkündete er kleinlaut, nicht alle Sparvorschläge würden umgesetzt werden. So läge ihm ausdrücklich die Bezuschussung der linksextremistischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) am Herzen.

Schließlich folgte der Höhepunkt einen Tag vor der Bundestagswahl. Thilo Sarrazin redete Klartext: "Der argentinische Haushalt ist von den Eckwerten her im Vergleich zu unserem durchfinanziert und solide." Die Opposition nutzte diese Steilvorlage zu einer weiteren Wahlkampfshow.

Der Senat offenbart pure Konzeptlosigkeit

Kaum war die Wahl gelaufen, da gab sich Sarrazin die nächste Blöße. In Verhandlungen mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes war er nicht imstande, die Zahl der Beschäftigten zu beziffern. Die Zahl der Lehrer veranschlagte er zum Beispiel um 7.000 zu hoch. Das ganze Vorgehen von Senat und Finanzsenator läßt nur einen Schluß zu: Thilo Sarrazin spielt bewußt den Pausenclown, um den Schwarzen Peter der Bundesregierung zuzuspielen. Indem er die juristische Munition für die Opposition liefert, bereitet er die Niederlage des Landes beim Landesverfassungsgericht vor. Mit dieser Schlappe im Rücken kann das Land dann Geld beim Bund eintreiben.

Diese Taktik hinterläßt ein psychologisches Trümmerfeld, weil das Vertrauen in die Landesregierung zerstört wird. Die allgemeine wirtschaftliche Lage in der Stadt bestätigt dies. Der PDS laufen die Wähler davon. Gerade die Postkommunisten haben mit vollmundigen Wahlversprechen in der Bildungspolitik die letzte Abgeordnetenhauswahl gewonnen. Jetzt setzen sie den Rotstift an.

Es ist pure Konzeptlosigkeit, die der rot-rote Senat hier offenbart. Ein knappes Jahr nach der letzten Wahl hat sich der Senat durch eine Reihe von Fehlern blamiert: SPD-Chef Peter Strieder ist zunächst bei der Wahl zum Senator durchgefallen. Die Ausrichtung der Leichtathletik-WM 2005 ist geplatzt. Gregor Gysi warf alsbald das Handtuch. Selbst die dem Senat nahestehende taz kommentierte die Arbeit des Wowereit-Senats mit den Worten: "Sie können es einfach nicht."


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen