© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002

 
Meldungen

Reform vom Ausmaß einer Staatsneugründung

BERLIN. Wäre die Bundestagswahl anders ausgefallen, hätte der Unternehmensberater Roland Berger vielleicht eine wichtige wirtschaftspolitische Funktion übernommen. Ob eine Stoiber-Regierung dann umgesetzt hätte, was er noch kurz vor dem 22. September zur Reformierung des Wirtschaftsstandorts Deutschland vorgeschlagen hat (Die politische Meinung Nr. 393), ist aber zweifelhaft. Denn mit dem sozialen Image der CSU dürfte sich Bergers Radikalität kaum vertragen. Um das Elend von niedrigem Wirtschaftswachstum, schwindender globaler Wettbewerbsfähigkeit und schlaffer Innovationskraft zu beenden, fordert er, die klassische Industriegesellschaft in eine "wissenbasierte Dienstleistungswirtschaft" zu transformieren. Dazu gehöre neben Senkung der Staatsquote und Deregulierung des Arbeitsmarktes vor allem eine Reformierung des Bildungssystems. Dort seien die Investitionen zu verdoppeln, um auch nur das OECD-Niveau zu erreichen. Intensiviert werden müsse die Vorschulausbildung, während Universitäten, die nun in die "Elitenförderung" einsteigen müßten, auf "Kommunikationsfähigkeiten, Internationalität" und Kompetenz in den "neuen Technologien" zu achten hätten. Insgesamt sei der Reformstau so groß, daß seine Auflösung einer Neugründung der Republik gleichkäme, da auch das Verhältniswahlrecht oder der Zuschnitt der Bundesländer zur Disposition stünden.

 

Warnung vor dem Ende deutscher Lesekultur

MARBURG. Der FAZ-Bericht vom Bibliothekartag in Augsburg titelte mit dem Imperativ: "Begrabt die Bibliotheken!" Der Bielefelder UB-Direktor Karl Wilhelm Neubauer schlägt vor, die Universitäts- und Staatsbibliotheken sollten ihren Bücherankauf über kurz oder lang einstellen, das Wissen digitalisieren und sich auf die Einrichtung "virtueller Bibliotheken" konzentrieren. Der Münchner Germanist Wolfgang Frühwald versuchte mit einem Essay über "Gutenbergs Galaxis im 21. Jahrhundert" (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, 4/02) zu vermitteln, konnte aber die Unruhe in der Verlegerschaft kaum dämpfen. Vittorio E. Klostermann, Inhaber des Frankfurter Verlages, der die Heidegger-Gesamtausgabe betreut, appelliert darum im Herbstkatalog seines Hauses: Werde die desolate Lage der Bibliotheksetats genutzt, um sich vom Medium Buch zu verabschieden, sei es geschehen um das, "was wir bis weit ins 20. Jahrhundert hinein 'Lesen' genannt haben". Ob sein Mittelweg, "Onlinepublikationen und die gedruckten Bücher", jedoch durchzuhalten ist, bleibt angesichts radikaler Etatkürzungen eher fraglich.

 

Erste Sätze

Die Anbetung des eisernen Kalbes ist verklungen.

Jürgen Rausch, Der Mensch als Märtyrer und Monstrum. Essays. Stuttgart 1957


 
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