© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    41/02 04. Oktober 2002

 
Blick in die Medien
Inquisition
Ronald Gläser

Früher war es Kritik an der Einheit der Arbeiterklasse oder an der Linie der Partei. Das öffentlich-rechtliche Berliner "Inforadio" verkündete kurz und knapp vor der Wahl, was heutzutage tabu ist und was nicht: "Möllemann ist umstritten, weil er den israelischen Ministerpräsidenten und den stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats der Juden kritisiert hatte." Hämisch grinsten linksliberale Kommentatoren nach der Bundestagswahl. Die FDP sei trotz eines Zuwachses von 1,2 Prozent der größte Wahlverlierer, hieß es. "Das kann kein noch so wortgewandter Politiker schönreden", analysierte zum Beispiel n-tv das Ergebnis der Liberalen. Und mit Jürgen Möllemann hatte man sofort einen Sündenbock ausgemacht. Aber hat der Noch-Vorsitzende der NRW-FDP nicht ungeheuren Zuspruch erfahren? Noch nie konnte die FDP in seinem Bundesland den Spitzenplatz unter allen Landesverbänden belegen. Während der Friedman-Affäre wurde ihm breiteste Unterstützung zuteil. Wo Volkes Stimme ohne redaktionelle Filterinstanzen vernehmbar wurde, wurde Möllemanns mutige Haltung begrüßt. Aber die FDP zuckte vor ihrer eigenen Courage zurück. Im Guido-Mobil begab man sich zurück in die Grenzen politisch-korrekter Positionen. Kurz vor der Wahl erschien dann die innerparteiliche Inquisition. Ohne Not schlugen "Parteifreunde" auf Möllemann ein. Was sollten die Wähler einer Partei, die für die Freiheit - also auch die Meinungsfreiheit - eintritt, denken? Für eine Partei, die Abweichler auf den Scheiterhaufen setzt, kann niemand stimmen.


 
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