© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Vertrauenswürdig
Karl Heinzen

Der deutsche Weg, den Gerhard Schröder im Wahlkampf eingeschlagen hat, sollte die Bundesrepublik nicht von der Seite Amerikas wegführen. Der Kanzler mußte allerdings dem Umstand Rechnung tragen, daß in unserem Land, anders als in anderen zivilisierten Nationen, eine Regierung, die Kriege plant oder die Beteiligung an solchen in Aussicht stellt, in der Wählergunst nicht zulegt. Die bellizistische Tradition, die das rot-grüne Reformprojekt begründet hat, ist noch zu jung, als daß sie die postnazistische Ohne-mich-Haltung ganz verdrängen könnte

Dank seiner Instinktsicherheit hat Gerhard Schröder gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen vermocht. Zum einen hat er durch seine klare Positionierung gegen eine Beteiligung Deutschlands am Irak-Krieg einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu geleistet, daß seine Regierung am Ruder geblieben ist und die einzigen, die derzeit noch pazifistischer Fundamentalopposition bezichtigt werden könnten, sich die einschlägigen Entschließungen des Deutschen Bundestags in Zukunft im Fernsehen anschauen dürfen und nicht mehr im Plenum. Zum anderen hat er deutlich zu erkennen gegeben, daß er sich die Entscheidungen, die vielleicht schon in Kürze getroffen werden müssen, nicht leicht gemacht haben wird. Gerade in Zeiten äußerer Bedrohung sind Politiker gefragt, die zu ihren Grundsätzen stehen und zugleich über ihren Schatten springen können. Für die Menschen in unserem Land ist es beruhigend zu wissen: Ein Krieg, dem Gerhard Schröder seine Zustimmung erteilt, verdient es tatsächlich, geführt zu werden.

Die Amerikaner müssen also nicht enttäuscht sein, daß es keinen Regierungswechsel in Berlin gegeben hat. Einem Kanzler Stoiber wäre es zwar eventuell eine Herzenssache gewesen, die Beziehungen zu den USA durch einen gemeinsamen Waffengang zu entkrampfen. Anders als Schröder hätte er damit aber innenpolitisch polarisiert und die Verbündeten womöglich in die unangenehme Situation gebracht, Ressourcen der Bundeswehr einzuplanen, mit denen sie eigentlich gar nichts anfangen können. So aber kann die Wiederannäherung zwischen der Bundesrepublik und den USA in nicht nur berechen-, sondern auch zählbarer Weise stattfinden. Die Zerstörung des Irak und sein demokratischer Wiederaufbau werden in der nächsten Zeit einiges an Investitionen erfordern. Für die Deutschen dürften sich hier Chancen eröffnen, in einer ihnen angemessenen Form Verantwortung für Frieden und Stabilität zu übernehmen.

Der deutsche Weg ist und bleibt der an der Seite unserer Verbündeten. Unter Gerhard Schröder wird ihn eine überwältigende Mehrheit der Menschen mitgehen wollen. Man hat es ihm hoch angerechnet, daß er mit seiner klaren Haltung gegen den Irak-Krieg eine Verärgerung der Amerikaner in Kauf nahm. Nun darf er sich ebenso großer Zustimmung gewiß sein, wenn es gilt, das Vertrauen der Freunde durch sachgerechtere Auffassungen zurückzugewinnen.


 
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