© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002

 
CD: Pop
Kreativ trotzig
Silke Lührmann

Ein knappes Jahrzehnt ist es her, daß Beck Hansen das einzige Tabu der Leistungsgesellschaft brach. In seiner Hit-Single "Loser" bekannte der schmächtige blonde Amerikaner offenherzig, ein Verlierertyp zu sein. Damit singt er bis heute all jenen aus dem Herzen, die als erste westliche Nachkriegsgeneration mit dreißig einen niedrigeren Lebensstandard genießen als ihre Eltern im selben Alter: die keinen Bausparvertrag, sondern Schulden und statt der Karriere nur "McJobs" haben. Im englischen Sprachraum sind sie als "Generation X" bekannt, im deutschen eher als "Generation Golf": seelisch Verwaiste oder doch Verwahrloste, die sich in der sekundären Welt, in der sie aufgewachsen sind, nicht zu Hause fühlen, aber auch kein anderes Zuhause kennen, deren Ideale so beliebig sind wie ihre Identitäten variabel. Sogar ihre Selbstbilder beziehen sie aus zweiter Hand, aus Becks Hymne, den Büchern von Douglas Coupland (1991) und Florian Illies (2000) oder aus Richard Linklaters Film "Slacker" (1991).

Seine Musik mache er für "Menschen, die mit Dylan und mit Devo großgeworden sind", sagt der 32jährige. Beck selber zählt längst zu den Erfolgreichen. Der Süddeutschen Zeitung gilt er als "begnadet", und Rolling Stone verlieh seinem neuesten Werk "Sea Change" die Bestnote. Denjenigen, die weiterhin am Erwachsensein scheitern, hat er aber immer wieder Neues zu sagen.

Beck machte dort weiter, wo Nirvana lange vor Kurt Cobains Selbstmord aufgab - wo nämlich Lethargie in Trotz umschlägt und kreativ wird: Der Albumtitel "Mellow Gold" (1994) versprach schon jene dröhnende Dissonanz, die er seither immer wieder vorführt: Solide materielle Werte der neunziger Jahre reagieren mit dem Geist der Sechziger, dessen flüchtige Illusionen Donovans "Mellow Yellow" vertonte. Aus dem Chemieunterricht erinnert man sich, daß bei derlei Experimenten außer stinkenden Dämpfen nichts übrigbleibt. Daß Becks übermütiger Nihilismus dennoch der frischeste Wind war, der durch die Musik der letzten zehn Jahre wehte, müßte traurig stimmen und tut es nicht, weil seine Texte so herrlich bizarr und sein lakonischer Tonfall irgendwo zwischen Rap, Grunge, Punk, Funk und Folk so ansteckend ist.

Frühere Metamorphosen brachten widernatürliche Kreaturen hervor: "Mutations" (1998) wie die schwülstigen Mitternachtsgeier ("MidniteVultures", 1999), mit denen Beck zuletzt seine Fans befremdete. "Sea-change", wie sie der Luftgeist Ariel in Shakespeares "Der Sturm" besang, meint eine lyrischere, organische Verwandlung. Heute wird der Begriff meist aller Symbolik beraubt und mißbraucht, um Paradigmenwechsel in der Wirtschaft oder Politik schönzuschreiben. Becks "Sea Change" ist vor allem ein Stimmungsumschwung. "Du schuldest der Vergangenheit nichts als verschwendete Zeit", heißt es in "End of the Day". Das Feld des rüpeligen Sprechgesangs, auf dem sich inzwischen Eminem oder die Bloodhound Gang tummeln, hat er endgültig geräumt. Die Töne, die er nun anschlägt, klingen leiser, melancholischer und melodischer: verlegen fast ob seines gerade entdeckten Ernstes - aber eben nur fast. Wie alle Beck-Alben erfordert und belohnt auch dieses die Geduld des Hörers. Beim ersten Auflegen könnte man noch glauben, sich vergriffen und aus Versehen eine CD von Neil Young erstanden zu haben. Allmählich kristallisieren sich aus der ungewohnten Harmonie der Akkorde und Instrumente akustische Nuancen heraus, die unverkennbar sind - und unverkennbare Meisterstücke wie das in den Ohren zerschmelzende "Lost Cause" oder die Blues-Echos in "Side of the Road". "I'm a loser, baby", lautete einst Becks Refrain, "so why don't you kill me": "Erschieß' mich doch gleich". Gut, daß ihn damals niemand beim Wort genommen hat.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen