© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    42/02 11. Oktober 2002

 
Wiedergutmachung für eine fürstliche Dilettantin
Theater: Wilhelmine von Bayreuths "Argenore" im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth
Konrad Pfinke

Ohne sie gäbe es keine Bayreuther Festspiele. Ohne ihr Wirken wäre die kleine Provinzstadt am Roten Main möglicherweise nie zum Rang einer "Weltstadt auf Zeit" aufgestiegen. Ohne sie besäße Deutschland heute wohl nicht das schönste barocke Opernhaus nördlich der Alpen.

Sie: das war die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, die "Lieblingsschwester Friedrichs des Großen". Sie war es, die - nach einer langen Phase der Stagnation - wieder die Künste in die kleine Stadt brachte. Auf ihre Veranlassung wurde das Markgräfliche Opernhaus gebaut, das Richard Wagner später in einem Lexikonartikel entdeckte, woraufhin er den Plan faßte, seine Musikdramen hier zur Aufführung zu bringen. Aus dem Plan wurde zwar nichts (das Haus erwies sich als zu klein), aber noch immer steht es in der Opernstrasse, um von Zeit zu Zeit, meist unter seinem Niveau, bespielt zu werden.

Ein Gastspiel des Hans Otto Theaters Potsdam brachte nun aus Anlaß des jungen Festivals "Bayreuther Barock" ein ungewöhnlich passendes Werk der Erbauerin auf die Bühne. Wilhelmine von Bayreuth gehörte nämlich zu jenen gebildeten Dilettanten unter den Fürsten, die wie Kaiser Leopold I. musikalische Werke größten Ausmaßes schrieben. So konnte man nun im Opernhaus die Oper "Argenore" erleben, die vermutlich nie in Bayreuth gespielt wurde.

Dies dürfte seinen Grund nicht allein in äußeren Umständen haben: das Werk erwies sich seinerzeit, kurz vor 1740, offensichtlich als zu provokant, um im höfischen Rahmen aufgeführt zu werden. Wilhelmine, auf deren Idee die Handlung zurückgeht, brachte nämlich nichts weniger als den Konflikt mit ihrem als Tyrann empfundenen Vater, dem "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I., auf die Bühne. Es dürfte keine zweite unter den Tausenden von Opera Serias geben, die so eindeutig katastrophisch enden: Im Finale liegen alle Protagonisten der Inzest-Tragödie, einschließlich des brutalen Königs, der sich skandalöserweise selbst das Leben nimmt, auf der Bühne. Das Werk über den Widerstreit von Politik und Liebe, Vernunft und Gefühl, endet passenderweise in einem dunklen, leisen c-MollAkkord.

Auch sonst überrascht das Werk der Dilettantin durch eine Frische und Unmittelbarkeit, die die Abfolge der 27 Arien zu einem Hörvergnügen ersten Ranges macht. Ihr Werk ist - auch wenn es nicht mit den Opern eines Händel verglichen werden sollte - so "modern", wie es die Gattung verlangte. Es dürfte schwer sein, in ihm ein Plagiat zeitgenössischer Vorbilder zu sehen. Das Ensemble beglaubigt seine Originalität, indem es das Werk mit nicht weniger als vier ausgezeichneten Counter-Tenören besetzen kann, allen voran der herausragende Johnny Maldonado, dessen butterweiche Stimme kaum von der einer Frau zu unterscheiden ist. Jörg Waschinski ist ihm als Ormondo ein ebenbürtiger Gegenpart, und Doerthe Maria Sandmanns Palmide bringt die ganze Schönheit ihres charaktervollen Koloratursoprans zur Geltung.

In gleicher Weise vereinigen sich unter der souveränen Leitung Johan van Slagerens das Zupackende und das Empfindsame bei der Batzdorfer Hofkapelle, die die historische Spielweise vollkommen beherrscht. Auch in diesem Sinne war die kleine Aufführungsserie ein Opernfest der besonderen Art: musikalisch wie historisch, unterm Strich auch eine schöne Ehrenrettung und Widergutmachung einer unkonventionellen Komponistin des 18. Jahrhunderts.

Information: Markgräfliches Opernhaus, Opernhausstr. 4. Info: 09 21 / 7 59 69 22


 
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