© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002


Totgesagte leben länger
von Doris Neujahr

Die Wahlerfolge der PDS in den vergangenen Jahren hatten auf keinem Programm oder sachlich kompetenten Spitzenpolitikern beruht, sondern auf dem Appell an ein kollektives Lebensgefühl in den neuen Ländern, das von der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft ignoriert wurde. Dieser Post-DDR-Konsens befindet sich in Auflösung. Die kompakte PDS-Wählerschaft zerfällt in Mittelständler, die unter Bürokratie und Steuerlast stöhnen, in Kleinfamilien, die einen bezahlbaren Kindergartenplatz brauchen, in Besserverdiener, die meinen, weniger Sozialstaat täte es auch, in unverbesserliche Narren, die es schließlich überall gibt. Vor ihren unterschiedlichen Interessen beginnen die Ost-West-Differenzen zu verblassen.

Auf dem Geraer Parteitag hat die PDS keine Antwort auf diese veränderte Lage gefunden, weil sie an der Wurzel faul ist. Die Kontroverse zwischen den Dogmatikern und "Reformern", die mit der Wiederwahl der Parteichefin Gabi Zimmer vorläufig endete, ist dagegen nebensächlich. Der PDS wird nun das Totenglöcklein geläutet, doch Vorsicht: Totgesagte leben länger! Als der CDU-Spendenskandal publik wurde, stieg die FDP in einen Jungbrunnen. Eine Krise bei SPD und Grünen oder harte Einschnitte ins "Soziale Netz" durch Rot-Grün würden auch für die PDS eine neue Chance bedeuten. Es ist die einzige und letzte, die heute denkbar ist, und wenig spricht dafür, daß sie eintrifft. Völlig ausschließen kann man sie nicht - der Wahlerfolg der Altkommunisten in Prag und Preßburg ist eine Mahnung.


 
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