© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
Vorbild Rom
Neue Sicherheitsdoktrin erlaubt Krieg bei Gefährdung von US-Interessen
Michael Wiesberg

Der US-Kongreß hat Präsident George W. Bush vor einigen Tagen mit großer Mehrheit eine Vollmacht für einen Krieg gegen den Irak erteilt. Sowohl im Abgeordnetenhaus als auch im Senat unterstützten auch zahlreiche Demokraten die Entschließung. Bush wertete diese Unterstützung als klares Signal und dekretierte, daß die Tage des Iraks als "gesetzloser Staat" gezählt seien, sollte dieser die UN-Resolution nicht erfüllen. Der US-Präsident kann dieses Votum mit Recht als weitere Etappe der Umsetzung seiner nationalen Sicherheitsdoktrin ("National Security Strategy") bewerten. Zur Leitlinie für die Politik der USA erhebt dieses Papier das Recht, zu jeder Zeit und an jedem Ort der Welt militärische Gewalt anzuwenden, und zwar gegen jedes Land, das in den Augen der USA eine Bedrohung amerikanischer Interessen darstellt oder irgendwann dazu werden könnte. Dieser Anspruch auf eine uneingeschränkte Vollmacht, nach eigenem Gutdünken militärische Gewalt anzuwenden, ist mit Argumenten versehen worden, die nicht einmal im Ansatz einer kritischen Überprüfung standhalten.

Wie diese Sicherheitsdoktrin auszulegen ist, kann beispielsweise bei Robert D. Kaplan nachgelesen werden, der zu den intelligentesten und beschlagensten Journalisten der USA gezählt wird, im deutschsprachigen Raum allerdings nahezu unbekannt ist. Einen Namen hat sich Kaplan als Spezialist für den Balkan, den Nahen Osten und andere Krisenregionen gemacht. In seinem gerade erschienenen Buch "Warrior Politics. Why Leadership Demands a Pagan Ethos" verdeutlicht er, worauf die Hegemoniepolitik der USA im Kern abzielt.

In einem Absatz führt Kaplan beispielsweise aus: "Je erfolgreicher unsere Außenpolitik, desto stärker kann Amerika die Welt beeinflussen. Um so wahrscheinlicher wird es, daß künftige Historiker die Vereinigten Staaten im 21. Jahrhundert nicht nur als Republik, sondern auch als Weltreich bewerten, mag es sich auch von Rom und allen anderen Reichen der Geschichte unterscheiden." Mit dem Fortschreiten der Jahrzehnte und Jahrhunderte, wenn die USA dereinst nicht nur auf 43, sondern auf 100 oder 150 Präsidenten zurückblickten, die dann wie die Herrscher vergangener Reiche - des Römischen, des Byzantinischen, des Osmanischen - in langen Listen aufgeführt würden, so Kaplan, rücke der Vergleich mit der Antike näher. Insbesondere Rom sei ein Modell für eine Hegemonialmacht, die verschiedene Mittel einsetze, um in einer ungeordneten Welt für ein Mindestmaß an Ordnung zu sorgen.

Kaplans Position hat keinen singulären Charakter. In den intellektuellen Zirkeln Amerikas hat die Debatte um eine weltweite US-Hegemonie seit dem 11. September 2001 mit aller Heftigkeit eingesetzt. Ausdruck fand diese Debatte zum Beispiel in einer der Ausgaben des "Wilson Quartely", die mit "An American Empire?" übertitelt war. In einem der Kommentare heißt es, der Begriff des Imperiums sei einmal ein Schimpfwort gegen die USA gewesen, doch seit Afghanistan und dem Krieg gegen den Terrorismus fragten sich die Amerikaner, "ob Imperium nicht das richtige Wort ist, um die Rolle der Vereinigten Staaten in der Welt zu beschreiben".

Richard Haas, einer der Berater von US-Außenminister Colin Powell, erklärte vor kurzem, er würde sein 1997 erschienenes Buch "Der widerstrebende Sheriff" heute anders bezeichnen. Das Wort "widerstrebend" sei einfach zu streichen. Stimmen wie die des Historikers Immanuel Wallerstein, die Amerikas Größe bereits überschritten sehen, sind in der Minderzahl. Noch freilich spricht auch nichts dafür, daß sich das US-amerikanische in einer Niedergangsphase befindet. Souverän drückt Washington dem weltweiten Geschehen seinen Stempel auf und bestimmt damit über den Ausnahmezustand.

Daß die Europäische Union diesem Hegemonieanspruch nichts entgegenzusetzen weiß, hat sie vielfach bewiesen. Ihre Rolle ist auch jetzt vorgezeichnet. Nach einem erfolgreichen "Präventivkrieg" gegen den Irak werden die Europäer für den Wiederaufbau, die Infrastruktur und für die "Demokratiebildung" im Irak zuständig sein. Damit wird die sich abzeichnende internationale Zwei-Klassen-Ordnung immer manifester: Die USA übernehmen mehr und mehr die Rolle des internationalen "Sheriffs", meint: der militärischen Ordnungsmacht. Die europäischen "Vasallen" sind für die Beseitigung der "Kollateralschäden" der amerikanischen "Demokratisierungskriege" zuständig.

Diesmal freilich dürfte die Schadensbeseitigung umfangreicher ausfallen als bisher. Mit wachsendem Argwohn betrachtet beispielsweise die Türkei die Vorbereitungen der irakischen Kurden auf die Zeit nach einem Sturz Saddam Husseins durch einen eventuellen US-Militärschlag. Ministerpräsident Ecevit erklärte Ende letzter Woche, die Lage gerate außer Kontrolle. Die Kurden wittern die Chance, endlich einen eigenen Kurdenstaat durchsetzen zu können. Ecevit spricht schon von einer Entwicklung, die die Türkei nicht hinnehmen könne. Damit zeichnet sich bereits vor einem möglichen Irak-Krieg ab, daß die selbstherrliche internationale Ordnungspolitik der USA entgegen deren propagandistischem Tremolo nicht zu mehr Demokratie und Frieden führen wird, sondern eine ganze Region nachhaltig destabilisieren könnte.


 
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