© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002


Der Weg zur Sekte
Parteien: Die Gräben in der PDS sind nach dem Parteitag tiefer geworden
Melanie Walter

Die Verlierer der Bundestagswahl lecken ihre Wunden. Am vergangenen Wochenende war die PDS damit an der Reihe. Auf dem Bundesparteitag in Gera sollten die Weichen für die Zeit jenseits der verpaßten Fünf-Prozent-Hürde gestellt werden. Die sogenannten Reformer in der Partei wollten diese Chance zu einem organisierten Putsch gegen die Parteivorsitzende Gabi Zimmer nutzen. Das Lager der Reformer traute sich eine Mehrheit auf dem Parteitag zu und stellte den Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch als Kampfkandidaten auf.

Von den Delegierten wurde die Anti-Zimmer-Kampagne nicht im Sinne ihrer Erfinder verstanden. Der vermeintliche Angriff gegen den wahren Sozialismus in der Partei wurde abgeblockt. Gabi Zimmer zog hingegen in ihrer Rede die Delegierten mehrheitlich auf ihre Seite. Mit viel Selbstkritik und Einsicht in die eigene Mitschuld an der Wahlniederlage schrieb sie ihren Gegnern deutliche Worte ins Stammbuch: "Regierungsbeteiligungen, Tolerieren, Kompromisse sind nicht von vornherein opportunistisch oder unsozialistisch. Aber: Bedingungslose Regierungsbeteiligung, bedingungsloses Tolerieren, Zustimmung um jeden Preis - das ist Opportunismus." Damit hatte sie auch den offen kommunistischen Flügel um Sahra Wagenknecht auf ihre Seite gebracht. Das von Gabi Zimmer vorgestellte Papier "Zukunft durch Erneuerung" versprach einen radikal-oppositionellen Kurs und ist daher weitgehend ein Zugeständnis an alt- und neokommunistische Kräfte. Nachdem sie damit noch am Mittwoch im Parteivorstand durchgefallen war, nahmen es die Genossinnen und Genossen mit großer Mehrheit an. Angesichts dieser inhaltlichen Niederlage sah sich Dietmar Bartsch genötigt, seine Kandidatur zurückzuziehen. Der kurz zuvor ebenfalls in den Kandidatenring gestiegene ehemalige Fraktionsvorsitzende Roland Claus nahm die Niederlage stellvertretend für sein Lager entgegen. Während er mit nur 96 Delegiertenstimmen hart landete, triumphierte Gabi Zimmer mit 279 Stimmen als alte und neue Parteivorsitzende. Damit war der seit Wochen schwelende Machtkampf entschieden und das realpolitische Lager endgültig in zwei Teile zerbrochen. Diejenigen unter Gabi Zimmer, die nur unter bestimmten Gegebenheiten zum Mitregieren bereit sind, und jene, die immer mitregieren wollen.

In der Öffentlichkeit und in den Medien war die Partei bisher sehr um ein modernes Erscheinungsbild bemüht. Viele ihrer Parlamentarier treten durch eine engagierte und pragmatisch betriebene Tagespolitik hervor. Das brachte ihr in der Vergangenheit so manche Wählerstimme, insbesondere in Mitteldeutschland ein und machte die Partei für die SPD als Koalitionspartnerin selbst auf Landesebene interessant. Zugpferd Gregor Gysi konnte vormals sogar über die Parteigrenzen hinaus punkten. Der Griff nach der Regierungsmacht war für die PDS Teil ihrer Doppelstrategie aus Tagespolitik und Systemopposition. Nach ihrem Selbstverständnis will sie zugleich auch eine Grundsatzopposition zur kapitalistischen Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik sein. Der Bezug auf die Inhalte des Manifests der Kommunistischen Partei in der Programmatik ist ebenso eindeutig, wie die Nähe zu offen linksextremistischen Kreisen. In der Altersstruktur der Partei klafft zwischen 35 und 55 Jahren eine gähnende Leere. Die Mitgliedschaft setzt sich zu großen Teilen aus DDR-getreuen Rentnern zusammen. Mit derartigem ideologischen wie personellen Rüstzeug ausgestattet, ist es schwer, sich auf den Kompromiß einer rot-roten Regierungsbeteiligung einzulassen. Die bisherigen Wahlerfolge hatten das Problem nur übertüncht.

Zwar hat Gabi Zimmer erst einmal gewonnen. Ob ihr Sieg auch ein Gewinn für ihre Partei ist, bleibt fraglich. Die PDS-Reformer müssen jetzt fürchten, daß dieser Kurs aus der durchaus mehrheitsfähigen Partei eine Sektenpartei machen könnte. Der offenkundige Linksruck hat zudem die Position der Genossen in den beiden rot-roten Regierungen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern geschwächt. Ob mit einer Profilierung durch bewußtes Aufreißen der internen Gräben zwischen Reformern und Traditionalisten die Wähler wieder zurückgewonnen werden können, die bei der Bundestagswahl besonders in Mitteldeutschland in Scharen zur SPD übergelaufen sind, bleibt abzuwarten. Die Zeiten der PDS im bundespolitischen Rampenlicht könnten für immer vorbei sein. Eine von marxistisch-leninistischen Zirkeln dominierte Partei wäre für abtrünnige Sozialdemokraten jedenfalls wohl kaum mehr wählbar.

Auf einem ganz anderen Blatt freilich steht die Frage nach der Notwendigkeit einer sozialdemokratisierten und damit mit dem linken SPD-Spektrum deckungsgleichen PDS. Das aber wäre die Konsequenz aus dem Kurs der in Gera unterlegenen Reformer.


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