© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
Pankraz,
R. Oppenheimer und der Wert von Nobelpreisen

Die Leistungen, für die Forscher den Nobelpreis erhalten, erscheinen immer rätselhafter, unverständlicher, sinnloser. Vom Friedenspreis, vom Literaturpreis und vom Wirtschaftspreis will Pankraz schweigen, aber auch die sogenannten harten Preise für Naturwissenschaftler nehmen allmählich den Charakter von Phantompreisen an, d. h. von Preisen, hinter denen ein Nichts steht, eine bloße Meinung, allenfalls eine Genugtuung.

Der diesjährige Physikpreis für den "Nachweis solarer Neutrinos" ist das Muster eines solchen Phantompreises. Ein Nutzeffekt für die Menschenwelt, für die Verbesserung ihrer Technik oder Logistik, wird damit nicht prämiert. Doch auch der reine Erkenntniswert dieses Nachweises liegt nahe bei Null, fügt unserem Weltbild nicht die geringste neue Farbe bei.

Neutrinos sind "schwache Teilchen" (Leptonen), die faktisch nicht wechselwirken und Nullmasse haben. Wolfgang Pauli hat sie seinerzeit postuliert, um den radioaktiven Zerfall (Beta-Zerfall) instabiler Atome berechnen zu können. Später wurden sie "nachgewiesen", indem man Chlorkerne radioaktiver Strahlung aussetzte und einige von ihnen dadurch in Argonkerne verwandelte, was sich eben nur berechnen ließ, wenn man Neutrinos voraussetzte.

Da die solare Energie, die Sonnenenergie, Produkt eines gigantischen Reaktors ist, in dem die Elemente unaufhörlich ineinander umgewandelt werden, war es an sich selbstverständlich, daß dort Neutrinos umhergeistern. Jetzt ist das also ebenfalls "nachgewiesen". Man hat Chlorbottiche tief unter die Erde verlegt und zusätzlich mächtig ummantelt, so daß faktisch nur Sonnenenergie wirksam werden konnte - und siehe da, mit Hilfe kompliziert-raffinierter Meßapparaturen wurden so und so viele solare Neutrino-Impulse errechnet. Herzlichen Glückwunsch!

Herr Nobel würde sich wahrscheinlich wundern. Kind des wissenschaftsgläubigen, an sprunghafte Erkenntnis- und Technikfortschritte gewöhnten neunzehnten Jahrhunderts, hatte er seine Preise als Prämien für spektakuläre, populäre und nutzbringende Super-Entdeckungen bestimmt - und müßte nun zusehen, wie sie zu Erquickungspillen in einem Glasperlenspiel unter Physikern degenerieren, die sich mit dem "Nachweis" immer neuer Teilchen vergnügen, mit Teilchen, die weder sinnlich wahrnehmbar noch ausnutzbar sind und von denen niemand weiß, ob sie in irgendein sinnvolles System eingeordnet werden können.

Alle diese subatomaren oder interstellaren Teilchen sind ja vollkommen instabil. Schon wenn die Wärmezufuhr verhundertfacht wird, werden alle atomaren Strukturen zerstört, und da dies bei den Leben und Tod spendenden Sonnen des Weltalls durchweg der Fall ist, wäre zu konstatieren: Der größte Anteil der Materie im Universum existiert in einem Zustand, der mit den schönen Atommodellen mit ihren Elektronen und Kernen und Protonen und Neutronen und Positronen und Neutrinos nicht das geringste zu tun hat. Es handelt sich in Wahrheit um einen blinden Tanz von Energien und Energieballungen, der - nach einem Wort des großen Physikers und Atombomben-Konstrukteurs Robert Oppenheimer - einen "kränkenden Mangel an Bedeutung" aufweist.

Und nicht nur das. Die Teilchen, die uns bei experimentell erzeugten Zusammenstößen in den Nebelkammern der Teilchenbeschleuniger begegnen, zerstückeln oft - und dennoch werden sie dabei nicht kleiner. Die Stücke sind Teilchen der gleichen Art, die Teilchen sind zerstörbar und unzerstörbar in einem, es sind gar keine Teilchen, sondern dynamische Strukturen und Prozesse, die eine bestimmte Energiemenge führen, welche dem Beobachter als ihre "Masse" erscheint.

Die Teilchen sind nichts anderes als in den Apparaten und im Bewußtsein der Beobachter erscheinende bildhafte Markierungen mikrokosmischer energetischer Konstellationen, was noch dadurch bekräftigt wird, daß sie ja niemals selbst erscheinen. Es ist bekanntlich nur ihr Kondensstreifen in der Nebelkammer, der erscheint und aus dem wir auf sie und die von ihnen manifestierte Konstellation schließen.

Man kann schon verstehen, wenn in gewissen fernöstlichen Weisheitskreisen, bei Brahmanen und Buddhisten, die Rede umgeht, daß die ganze hochgerühmte westliche Mikro- und Astrophysik auch nicht mehr herausgebracht habe als das, was Schiwa seit Ewigkeiten bezeugt, bzw. Buddha schon vor zweitausendfünfhundert Jahren gelehrt habe: Die Welt ist ein Tanz von Energien, wo sich Atman und Brahman, Inneres und Umgreifendes, zu einem einzigen Rad der Einwirkung und des Erleidens zusammenfügen.

Brahmanen und Klosteräbte zogen aus derlei Einsichten Macht und Einfluß, lehrten die weltlichen Entscheidungsträger und bekamen von ihnen Sinekuren, weckten bei Hoch und Niedrig Respekt und Bewunderung. Bei den modernen Nobelpreisträgern ist es nicht anders. Auch wenn man aus ihren Lehren keine Anregung für weltliche Verbesserungen ziehen kann und ihr Sprechen kompliziert und für den Außenstehenden weitgehend unverständlich bleibt, ist ihr Sozialprestige dennoch gewaltig, sind die Sinekuren für ihre Institute beträchtlich und die ihnen in den Medien entgegengebrachten Devotionen annehmbar und wohltuend.

Freilich wird es in letzter Zeit für die Wissenschaftsklöster (siehe den Fall des jungen, als Fälscher entlarvten "Physikgenies" Jan Hendrik Schön) zunehmend schwieriger, ihre Vorträge und Aufsätze von bewußt und in eindeutig egoistischer Absicht lancierten Manipulationen freizuhalten. Aber bis zu dem von manchen vorausgesagten "großen Kladderadatsch" des modernen Wissenschaftsbetriebs, wo dann der Offenbarungseid fällig würde, ist es noch weit. Dafür sorgt nicht zuletzt der Nobelpreis. Nur wer seine Computerkurven nicht löscht, so daß sie von Fachkollegen nachgeahmt werden können, erhält ihn.


 
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