© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
Geistiger Sinkflug
Was das neue Buch von Daniel Goldhagen mit dem Mediengiganten Bertelsmann zu tun hat
Doris Neujahr

Wenn in Deutschland ein Buch auf den Markt kommt, das an die NS-Schuldkomplexe appelliert, knallen die Rezensenten und Leser, die sich unter dem Begriff des "Reemtsma-Deutschen" subsumieren lassen, normalerweise die Hacken zusammen. Um so bemerkenswerter ist der durchgängige Verriß, den Daniel Goldhagens neues Buch "Die katholische Kirche und der Holocaust" zur Zeit erlebt. Die Presse ist sich ziemlich einig darin, daß Goldhagen alles Mögliche ist: ein erfolgreicher Geschäftsmann, Medienliebling, potentieller Religionsgründer, größenwahnsinniger Pamphletist. Nur als ernsthafter Wissenschaftler, als der er jahrelang angehimmelt wurde, kommt er nicht in Betracht. Genauso wenig eignet er sich als moralische Instanz, weil er alles, was nicht in sein Weltbild paßt, starrsinnig ignoriert. An historischer Wahrheit ist er gar nicht interessiert.

Trotzdem hat sein deutscher Verlag bereits vorab in Zeitungsanzeigen mit dem Konterfei Goldhagens für dessen neues Buch geworben und bei der Gelegenheit auf den "Welterfolg" von "Hitlers willige Vollstrecker" hingewiesen. Inzwischen ist auch die neue Goldhagen-Tournee durch Deutschland angelaufen. Autor und Verlag zielen, wie bei einem Pop-Event, auf ein größtmögliches Jubelpublikum und den entsprechenden Umsatz.

Nun hat das Landgericht München in einer Einstweiligen Verfügung die Verbreitung der Erstauflage untersagt, weil der Münchner Michael Kardinal Faulhaber (1869-1952) in einer Fotounterschrift fälschlich als Teilnehmer einer SA-Kundgebung bezeichnet wird. Spätestens damit ist das "Problem Goldhagen" zu einem Problem des Siedler-Verlages geworden. Mit seiner unfaßbaren Schlamperei und Stimmungsmache hat der Berliner Verlag, dessen Niveau sich seit dem Ausscheiden seines Gründers Wolf Jobst Siedler im Sinkflug befindet, den vorläufigen Tiefpunkt erreicht.

Der Siedler Verlag stand einst für feinsinnige Preußen-Essays, für kulturgeschichtliche Betrachtungen, hervorragend betreute Memoirenbücher und für die Neu- und Wiederentdeckung Ostdeutschlands und Osteuropas. Hier erschien der Doppelessay "Zweierlei Untergang" von Andreas Hillgruber mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie die marxistische Bismarck-Biographie aus der Feder des DDR-Historikers Ernst Engelberg. Es zählte intellektuelles Niveau, nicht die politische Richtung und schon gar nicht ideologisches Eiferertum.

Das hat sich, seit der Siedler-Verlag eine hundertprozentige Bertelsmann-Tochter ist, sukzessive geändert. Getrost kann Daniel Goldhagen als Bertelsmann-Favorit bezeichnet werden. Jüngstes Beispiel ist sein Auftritt am 13. Oktober in der prominenten Sonntagsmatinee "Berliner Lektionen", die - man ahnt es längst - von Bertelsmann gesponsort wird. Vermutlich wird das Buch bald auch ins Club-Sortiment aufgenommen, wärmstes empfohlen von Lea Rosh, die zum "Club-Beirat" gehört.

Damit wird hinter dem Goldhagen-Siedler-Syndrom das eigentliche Problem sichtbar: Die Gefahren, die von dem Mediengiganten Bertelsmann für das geistige Klima und die Meinungsvielfalt in Deutschland ausgehen. Dieser Medienkonzern besitzt neben dem Gütersloher Buchclub die amerikanische Verlagsgruppe Random House, den Verlag Gruner & Jahr (dort erscheinen Stern und Geo), die Bertelsmann Music Group (wo Musikerinnen wie Alicia Keys unter Vertrag sind), große Anteile an der RTL-Gruppe usw. usf.

Das Ziel von Bertelsmann ist der "integrierte Medienkonzern". Das heißt, daß die unterschiedlichen Medien ineinandergreifen und die Bertelsmann-Töchter sich beim Verkauf ihrer Produkte gegenseitig unterstützen sollen. Der Bertelsmann-Club-Katalog dient zum Vertrieb der Random-House-Autoren und als Werbefläche für die Gruner & Jahr-Titel, Musiker, die bei der Music Group unter Vertrag sind, können auch bei RTL aufreten und dort die Quote steigern. Die Möglichkeiten sind unendlich. Entscheidungen und Werturteile von kultureller und politischer Relevanz müssen sich dabei den Geschäftsinteressen des Gesamtkonzerns unterordnen, Meinungs- und Urteilsfreiheit verkommen zur ökonomischen Kalkulationsgröße. Von einer Binnenregulierung in einer aufgefächerten Medienlandschaft kann nicht mehr die Rede sein.

Was das mit Goldhagen zu tun hat? Er wurde just zu dem Zeitpunkt in Deutschland zum Starautor hochgejubelt, als der (kürzlich geschaßte) Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff mit dem Erwerb von Random House einen entscheidenden Schritt in Richtung Global Player unternahm und in den USA auf heftigen Widerstand - nicht zuletzt von jüdischen Autoren - stieß. Man darf davon ausgehen, daß die erfolgreiche Kampagne um die "Willigen Vollstrecker" mit den Geschäftsinteressen des Konzerns korrelierte, eignete sie sich doch als Beweis dafür, in welchem Maße der Verlag aus der Geschichte "gelernt" hatte.

Inzwischen scheinen die Bertelsmänner die Geister, die sie gerufen haben, nicht mehr loszuwerden. Eine Ende 1998 generös ins Leben gerufene Unabhängige Kommission hat zutage gefördert, daß der Verlag im Dritten Reich weit stärker in die NS-Propaganda involviert war, als sogar Böswillige angenommen hatten. Um so stärker ist Bertelsmann jetzt auf den Erfolg des neuen Goldhagen-Buches angewiesen.

Die kulturellen Folgen der Geschäftspolitik von Bertelsmann sind in den letzten Jahren deprimierend genug. Natürlich war der Verlag auch früher dem Massengeschmack verpflichtet, doch er propagierte gleichzeitig einen vorbildhaften Anspruch. In den Filialen standen neben Unterhaltungsromanen eine gemeinsam mit dem Hanser-Verlag herausgegebene Goethe-Gesamtausgabe und die unter dem Titel "Hundert Meisterwerke der modernen Weltliteratur" erschienene "Jahrhundert-Edition", in der Virginia Woolf, Bulgakow, Celine, Kundera, Proust und Primo Levi usw. erschienen.

Heute findet man fast ausschließlich US-amerikanische Unterhaltungsschinken vor. Der aktuelle Club-Katalog bietet als Vorschlagsband den Roman "Die Liebenden von Leningrad" einer Paullina Simons an. "Ergreifend wie Doktor Schiwago", flötet die Überschrift, und die Inhaltsangabe hebt an: "Leningrad 1941: Als sich die junge Tatjana in den charmanten Offizier Alexander Belov verliebt, ahnt sie noch nicht, welches Geheimnis er hütet. Sie weiß nur, daß er der Mann ihres Lebens ist ..." Muß man noch weiterlesen? Muß man nicht!

Diese Tonart ist typisch für sämtliche Kataloge. Wir finden die Bestseller von Danielle Steel, John Grisham, Stephen King, aus Deutschland werden Charlotte Link und Tanja Kinkel aufgeboten, und natürlich darf Guido Knopp nicht fehlen. Sabine Christiansen, die Frau für alle, die von Klappentexten und zweispaltigen Zeitungsartikeln überfordert sind, animiert zum Kauf des 15bändigen Bertelsmann-"Brockhaus"!

Als Alibi-Titel gibt es ausgewählte Bücher von Martin Walser (freilich nicht der "Tod eines Kritikers"!), John Irving und Günter Grass. Gute Ideen sind die Kassette mit Romanen von Hermann Hesse oder eine Reihe mit den Romanen junger deutscher Autoren. Doch sie widerlegen nicht das Zufalls-, Häppchen- und Feigenblattprinzip!

Immer offener tritt die Absicht zutage, den Club-Mitgliedern eine Rundum-Betreuung zuteil werden zu lassen. Im Zusatz-Katalog "Trend-Shop" werden Römertöpfe, variable Leuchter, Plüschtiger und Mini-Backöfen feilgeboten, die "Genußwelt" bietet Wein-Lieferungen und der "Media Card aktuell" einen "Club-Ticket-Service" an, in dem man sich "Urlaub nach Maß" in Clubanlagen mit "Beauty- und Wellnessoase" gönnen kann. Nur die offizielle Original-Goldhagen-Gehirnwäsche vermißt man noch schmerzlich. Die Absicht ist deutlich: Aus den Katalog-Kunden soll eine Konsumenten-Gemeinschaft gebildet werden, mit einer geistigen und materiellen "Corporate identity" auf pflegeleichtem Niveau.

Damit greift Bertelsmann über die Ökonomie hinaus und strebt nach Formung des Konsum-Menschen nach seinem Bilde.

Daniel Goldhagen (r.) diskutiert am 10. Oktober mit dem Alt-bischof von Trier, Hermann Josef Spital (l.): An historischer Wahrheit ist der US-amerikanische Buchautor nicht interessiert


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen