© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
Ein Leben für das gedruckte Wort
Porträt: Egon Stadelman arbeitet seit vier Jahrzehnten für die deutschsprachige "New Yorker Staats-Zeitung"
Timo Fehrensen

Ich wollte nicht als Sieger zurückkehren. Ich habe für Verständigung plädiert, und da lag es mir fern, mich hier voller Stolz als Angehöriger der Nation, die den Krieg gewonnen hat, zu präsentieren." Nach dem Krieg ist Egon Stadelman, der bekennende deutsche und vor allem preußische Patriot, nicht mehr in die alte und bis heute geliebte Heimat zurückgekehrt. Verbitterung gibt es keine, Haß erst recht nicht. Obgleich dem damals jungen Journalisten Stadelmann (das zweite "n" des Nachnamens schmiß er nach eigenem Bekunden während der Schifffahrt ins Exil nach New York über Bord), der eine große Karriere im Mosse-Verlag vor sich hatte, von einem zum anderen Tag die berufliche Existenz entzogen wurde.

Berliner ist er vom Jahrgang 1911, New Yorker seit sechs Jahrzehnten. Seit vier Jahrzehnten ist Egon Stadelman für die New Yorker Staats-Zeitung tätig, vom Feuilleton bis zur Glosse, von der hohen Politik bis zum freundlichen Lokal-Ambiente. Ein Leben fürs gedruckte Wort. Nach dem Abitur nahm er die Gelegenheit wahr, sein Handwerk in dem renommierten Mosse-Verlag zu lernen. Nicht als "rechte Hand eines Redakteurs", sondern als "linke Prothese im Zeitungsbetrieb" hätte er sich zu fühlen, beschied ihn sein Verlagsleiter 1929, sofort nach seinem Eintritt in den Mosse-Verlag. Und er hat's gelernt, in dem Verlag, der einstmals als Annoncen-Agentur angefangen hatte. Die Anzeigen hat er verwaltet, bei den technischen Gerätschaften hat er, der nach eigenen Angaben "mit zehn linken Daumen" ausgestattet ist, eifrig geübt. Bald schon war es das Berliner Lokale, vom Dachstuhlbrand bis zu den hochbetagten Jubilaren, über die er zu berichten pflegte. Er hat für die Berliner Volkszeitung Anfang der Dreißiger alles an politischem Unbill verfolgt, was ihm so unter die Feder kam.

Den 30. Januar 1933 erlebte er im Hotel Kaiserhof, dem Stammhotel der NSDAP. "Ständig sahen wir die Nazigrößen herein- und herausstürmen - allen voran den Hindenburg-Sohn Oskar, einen der einflußreichsten Strippenzieher und vor allen Dingen den Opportunisten Otto Meißner, der erst Staatssekretär unter Ebert, dann unter Hindenburg und schließlich unter Hitler war." An die verharmlosenden Sprüche um einen "Nazi-Spuk" hat er nie geglaubt. "Ich habe die Naivität vieler meiner Kollegen nicht verstanden. Ahnen konnte man von Anfang an, daß dieser Mann Deutschland ins Unglück führen würde, zumal ihm die anderen Politiker nichts entgegenzusetzen hatten."

Als ihm am Abend des 27. Februar 1933 sein Chefredakteur Kurt Caro mitteilt, daß im Reichstag ein Büro brennen solle, begibt er sich kurz vor neun sofort zum Parlamentsgebäude. Als er Caro dann bei einem Telefonat vom Hotel Adlon aus erzählt, daß der gesamte Reichstag in Flammen stünde, hält ihn dieser für besoffen. Am nächsten Tag jedenfalls steht ein Stadelman-Kurzbericht über den Reichstagsbrand in der Berliner Volkszeitung. "Keiner wußte damals genau, was passiert ist. Es gab Leute, die die Kommunisten dahinter vermutet haben, andere haben Göring verdächtigt. Ob's nun wirklich ein Attentat war, das konnte sicher an diesem Abend keiner behaupten."

Er bleibt bei der Volkszeitung, darf allerdings bald nach Hitlers Machtergreifung nicht mehr über die Politik berichten. Viele seiner Kollegen, die dem NS-Terminus nach "Volljuden" sind, emigrieren schon 1933. Er, dessen Mutter Jüdin ist, darf bis 1935 in der Redaktion bleiben. "Die anfänglichen Erfolge der Nazis haben sogar mich beeindruckt. Die Wirtschaft ging nach oben, das Chaos verschwand von den Straßen. Und zu dieser Meinung stehe ich auch noch heute." Ein SS-Sturmbannführer, vorher für den Lokalteil beim jüdisch geprägten Berliner Tageblatt zuständig, wird neuer Chefredakteur der Volkszeitung. "Mit dem bin ich gut ausgekommen. Nachdem er erfahren hatte, daß mein Vater im Ersten Weltkrieg gefallen war, zeigte er sogar kameradschaftliche Regungen. Ich habe bis zu meinem Weggang aus der Redaktion nie mit antisemitischen Angriffen zu tun gehabt."

1935 verläßt er dann freiwillig die Redaktion, kurz bevor er, nach Erlaß des Reichsschriftleitergesetzes, ohnehin entlassen worden wäre. Unter dem Namen einer "arischen" Kollegin kann er weiter Artikel veröffentlichen und dafür Geld kassieren. 1938, nach der Reichspogromnacht, kommt für ihn dann das endgültige Aus. Er emigriert nach England, seine Mutter kann er nicht dazu bewegen, mit ihm zu kommen. Einer "preußischen Offizierswitwe" würde man nichts tun, ist die Mutter überzeugt. Stadelman: "Engländer und Amerikaner tragen sicherlich eine Mitschuld am Schicksal vieler Juden, die nicht haben auswandern können. Wären die Einwanderungsvorschriften für viele der Hitler-Flüchtlinge nicht so brutal gewesen, hätte man viele Menschen retten können."

In England arbeitet der herzlich unbegabte Techniker zunächst in einer Firma für Kühlschränke. Ein knappes Jahr später dann der Weggang in die USA. Dort kann er zum letzten Mal mit seiner Mutter Briefe tauschen, bis ihn im Oktober 1940 ein Brief eines Berliner Hauswartes erreicht, in dem ihm mitgeteilt wird, daß seine Mutter unbekannt verreist wäre. Erst lange nach dem Krieg erfährt Stadelman vom Tod seiner Mutter in einem Vernichtungslager.

1941 tritt Stadelman in die US-Armee ein. Vorher hat er endlich wieder schreiben dürfen, für den Aufbau, damals das große Blatt der deutschsprachigen Emigranten, für das Autoren wie Thomas Mann tätig waren. Dessen Chefredakteur Manfred George, einst eine der Edelfedern der Weimarer Republik, kennt er schon aus Berlin. Für dessen Zeitung Tempo hatte der blutjunge Stadelman schon Artikel geliefert. "Natürlich gab es auch Emigranten, die Deutschland mit großem Haß begegnet sind. Die meisten allerdings, an der Spitze davon George, waren lediglich gegen Nazi-Deutschland, nicht gegen das gesamte deutsche Volk. Da haben sie stark unterschieden, und das tue ich auch heute noch."

Als Leutnant wird er nach drei Jahren in Frankreich verwundet, anschließend geht's zum Deutsch Deutschen Dienst der NBC. Dort arbeitet er mit zahlreichen anderen Emigranten an Nachrichten, Interviews, Glossen und sonstigem Propaganda-Material, das in Europa und speziell im Deutschen Reich gehört werden soll. Bei der NBC kommt der Printjournalist auch zum ersten Mal vor ein Mikrofon. "Auch hier galt es für uns Anti-Hitler, aber nicht anti-deutsche Sendungen zu produzieren. Wir haben auch Interviews mit deutschen Kriegsgefangenen gemacht, die sich zum Teil mit großem Interesse dazu bereit erklärt haben. Da waren wir wohl etwas toleranter als etwa der Kommentator des Französischen Dienstes, der sich nicht oft genug vor den Mikrofonen darüber aufregen konnte, daß die Boches schon zum dritten Mal innerhalb eines Jahrhunderts über sein Land hergefallen wären."

Stadelman, der in einem Artikel im vergangenen Jahr von den deutschen Soldaten als "den Tapfersten ihrer Generation" schrieb, empfindet bis heute keinen Groll gegen die meisten der Wehrmachtsangehörigen. "Das waren junge Leute, die gezwungenermaßen in den Krieg mußten und von denen die meisten keine Verbrechen verübt haben. Ich selber stehe noch heute in schriftlichem Kontakt mit zwei ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen, die ich damals kennengelernt habe."

Für die "Voice of America" geht er nach dem Krieg auf Journalisten-Tour quer durch die USA. Interviewt jeden Künstler von Rang und Namen, der ihm vors Mikrofon kommt, von Hildegard Knef bis Herbert von Karajan, von Karl Böhm bis zu Leonie Rysanek und Rudolf Bing. 1960 kehrt Stadelman ins Zeitungsgewerbe zurück. "Gerade die Arbeit mit jungen Kollegen aus dem Nachkriegs-Deutschland war für mich stets besonders faszinierend, und da war die Staats-Zeitung bestimmt die beste Adresse in New York." Bereits 1834 gegründet, ist das Blatt heute das älteste deutschsprachige Organ in den USA. Über zehn Jahre lang ist Stadelman ihr Chefredakteur gewesen, zwei Monate vor dem Mauerfall legte er, 78jährig, sein Amt nieder. In seinen Memoiren "Ein Leben lang Journalist" hat er davon Zeugnis abgelegt.

Über die heutige Entwicklung in Deutschland ist Egon Stadelman begeistert: "Ich bin froh, daß mein Berlin endlich wieder zu der Weltmetropole wird, die sie über lange Jahre gewesen ist." Stadelman, der gleich zweimal mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, ist bis heute eine lebende Brücke zwischen den Welten. "Ich bin Amerikaner geworden und deutscher Patriot geblieben."

Fotos:

Egon Stadelman (l.) im "Voice of America"-Team: "Amerikaner geworden, deutscher Patriot geblieben"

Erinnerungen: Stadelmans Biographie "Ein Leben lang Journalist"

Setzerei der "New Yorker Staats-Zeitung" (1988): Heute sind die alten Setzmaschinen längst durch Computer ersetzt


 
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