© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    43/02 18. Oktober 2002

 
Frisch gepresst

Mythus des Staates. Erst in der Dämmerung beginnt die Eule der Minerva ihren Flug. Kein Wunder, wenn heute das Ende des Staates forciert Reflexionen über dieses eigenartige, verblühende Gewächs abendländischer Kultur zeitigt. Dabei provoziert das Verschwinden des Staates im Wirbelsturm der Globalisierung nicht nur Zeitgenossen wie Ulrich March und Werner Mäder (JF 40 und 41/02) zu elegischen Abgesängen. Mancher Verlag sieht, um die Aktualität des Themas zu nutzen, auch die Chance, den einen oder anderen "Klassiker" nachzudrucken. Zu diesen zählt in unseren Tagen zweifellos der 1933 emigrierte Philosoph Ernst Cassirer (1874-1945), dessen letztes Werk "Vom Mythus des Staates" nun wieder zugänglich ist. Wer jedoch glaubt, hier Aufschlüsse gerade über die Metamorphosen des Staates im 20. Jahrhundert zu erhalten, wird bitter enttäuscht: In gewohnt eleganter Darstellung referiert Cassirer zwar den Inhalt des Staatsdenkens seit Platon, gelangt über Machiavelli zu Hegel (was man besser bei Friedrich Meinecke nachliest), meint dann aber allen Ernstes, den Totalitarismus seiner Epoche mit Carlyle und Gobineau erklären zu können (Vom Mythus des Staates. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2002, 416 Seiten, 19,80 Euro).

Gottesgelehrte. Für die Darstellung der protestantischen Theologie im 20. Jahrhundert gönnt sich das 1997 veröffentlichte Standardwerk von Jan Rohls fast 900 Seiten. Berücksichtigt sind darin auch der politisch-kulturelle Hintergrund, die parallelen Entwicklungen in der Philosophie, die weltanschaulichen Hauptströmungen und die wissenschaftlichen "Weltbilder". Das tritt in dem jetzt erschienenen, wesentlich kürzeren Handbuch von Hermann Fischer, emeritierter Ordinarius der Systematischen Theologie in Hamburg, auffällig zurück. Fischer ist stärker auf "reine" Theologiegeschichte konzentriert, was gerade bei den "konservativen Revolutionären" unter den Gottesgelehrten der zwanziger Jahre wie Emanuel Hirsch, Paul Althaus oder Friedrich Gogarten, aber auch bei ihren Antipoden wie dem "religiösen Sozialisten" Paul Tillich, leider zu spürbaren Reduktionen führt. Dafür fällt die Orientierung über die Theologie nach 1945 wesentlich gründlicher aus als bei Rohls (Protestantische Theologie im 20. Jahrhundert. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2002, 390 Seiten, 22,50 Euro).


 
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