© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002

 
Paragraph 130 StGB
Justiz: Stuttgarter Landgericht verurteilt den Liedermacher Frank Rennicke und seine Frau zu einer Bewährungsstrafe wegen Volksverhetzung
Ekkehard Schultz

Nach acht Prozeßtagen verkündete die 38. Strafkammer des Landgerichtes Stuttgart das Urteil in zweiter Instanz gegen den Ehninger Liedermacher Frank Rennicke und seine Ehefrau Ute: Der Vorsitzende Richter Zimmert verurteilte Rennicke vergangenen Dienstag wegen achtfacher Volksverhetzung nach Paragraph 130 Strafgesetzbuch (StGB) und dem Verstoß gegen den Paragraph 21 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften zu einer bedingten Haftstrafe von einem Jahr und fünf Monaten. Seine Ehefrau Ute erhielt fünf Monate Haft auf Bewährung wegen Beihilfe zur Volksverhetzung.

Oft benutzt Rennicke das Stilmittel der Ironie

Mit der Urteilsverkündung wurde das im November 2000 vom Amtsgericht Böblingen in erster Instanz gesprochene mildere Urteil aufgehoben, gegen das sowohl Rennicke als auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart Einspruch erhoben hatten. Rennicke wollte eine Revision des Urteils, welches eine bedingte Freiheitsstrafe von zehn Monaten vorsah, sowie die Rückgabe des durch das Landeskriminalamt Baden-Württemberg im Hause der Familie Rennicke beschlagnahmten Geldes in Höhe von über 70.000 DM, zweier Computer und Tonträgern, die im ersten Urteil als Wertersatz sowie als Beweismaterial eingezogen worden waren. Das sich auf einem gemeinsamen Konto des Ehepaars Rennicke befindliche Geld soll nach Auffassung der Staatsanwaltschaft den Erlös aus den vertriebenen Tonträgern mit dem von ihr als volksverhetzend eingestuften "Heimatvertriebenenliedes" darstellen. Nach Angaben Rennickes handelt es sich um einen über einen längeren Zeitraum aus unterschiedlichen Einnahmen angesparten Betrag, der sowohl der Alterssicherung der Familie als auch der Ausbildung der Kinder dienen sollten. Frank Rennicke ist seit Mitte der achtziger Jahre als Verfasser und Sänger teilweise äußerst provokanter Texte bekannt, die er vorzugsweise auf "Freundeskreis"-Treffen sowie auf Parteiveranstaltungen der NPD und der DVU und diverser Splittergruppen vorträgt. Inzwischen gibt es von Frank Rennicke fast dreißig unterschiedliche Tonträger, darunter auch mehrere Zusammenfassungen seiner Frühwerke, wobei die zahlreichen auf dem Markt kursierenden Schwarzpressungen zum Teil von Live-Auftritten in dieser Zahl nicht berücksichtigt sind. Fast die Hälfte davon sind mittlerweile von der staatlichen Prüfstelle als "jugendgefährdend" registriert worden und dürfen damit nicht im freien Verkauf gehandelt werden.

Wiederholte Motive in Rennickes Liedern sind Kritik am Verfassungsschutz, der Vergangenheitsbewältigung, der Einseitigkeit von Behörden und Abrechnungen mit opportunistischen Politikern. Jedoch auch zahlreiche Nachdichtungen von historischem Liedgut, zum Beispiel der Befreiungskriege gegen Napoleon oder der Revolution von 1848 prägen sein künstlerisches Repertoire. Oft benutzt er das Mittel der Ironie, um politische Sachverhalte in Frage zu stellen, gelegentlich greift er auch zu zweideutigen Texten. Direkte Aufforderungen zum politischen Handeln kommen eher selten vor, meist überwiegt Melancholie, vereinzelt gepaart auch Larmoyanz. Obwohl teilweise im Stile alter Arbeiterkampflieder vorgetragen, sind Rennickes Leider musikalisch eine Mischung ausBalladen, Volks- und Vaterlandsliedern.

Es ist auffällig, daß die Erörterung, ob die von Rennicke gesungenen Lieder als Kunst nicht eine höhere Toleranzgrenze beanspruchen dürfen, im Prozeß keine bzw. nur eine äußerst marginale Rolle spielte.

Tatsächlich konzentrierte sich die Anklage nahezu ausschließlich auf das "Heimatvertriebenenlied", das Rennicke bereits vor über 15 Jahren textete, und das nicht nur auf CDs und Musikkasetten, sondern auch noch auf Langspielplatten zu finden ist. Exemplarisch für die volksverhetzenden Stellen zitierte Richter Zimmert die Textpassagen: "...Fremdvölker vernichten deutsche Natur... für fremde Interessen, die Fremden sind Herrscher, verloren ist alles ... laßt uns wieder Deutsche in Deutschland sein .../Amis, Russen, Fremdvölker raus, endlich wieder Herr im eigenen Haus ...".

Mahlers Plädoyer dauerte über acht Stunden

Dieser Text zeige, so das Gericht, daß Rennicke in Deutschland lebende Ausländer in verachtenswerter Weise verunglimpfe und seine feindselige Verachtung auch verbreite. Die Unterstellung, daß die Deutschen von Ausländern beraubt und geknechtet würden, sei eine böswillige und gewollte Verleumdung, die zu fremdenfeindlicher Gewalt aufstachele und zudem "Anklänge an die Rassenideologie der Nazis" habe. Damit werde das "friedliche Miteinander", der "öffentliche Frieden" und "das Zusammenleben zwischen ausländischen Mitbürgern und Deutschen" gestört. Solche Wirkungen ließen sich ­allerdings nicht nur auf das "Heimatvertriebenenlied" reduzieren: "Auch andere Lieder sollten einer juristischen Prüfung unterzogen werden", so Richter Zimmert.

Das Gericht wies in seinem Urteil den von der Verteidigung aufgeworfenen Vergleich von "ausländerfeindlichen" Passagen des "Heimatvertriebenenliedes" mit ausländerkritischen Äußerungen von Personen des demokratischen Spektrums zurück, da sich Rennicke bewußt außgegrenzt habe.

Damit basierte diese Begründung auf dem Standpunkt, daß Äußerungen von Mitgliedern "rechter" Parteien oder ihnen nahe stehender Personen schon deshalb verfassungsfeindlich bzw. "volksverhetzend" sein könnten, weil sie nicht auf der Basis des demokratischen "Konsens", sondern zur Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung dienten; was eine rechtlich ungleiche Beurteilung vergleichbarer Tatsachen und Sachverhalte von Personengruppen einschließen könnte.

Die Frage des tatsächlichen politischen Einflusses Rennickes auf sein Umfeld wurde im Prozeß nur unzureichend geklärt. Das Gericht berief sich in der Urteilsbegründung lediglich auf die Auffassung, daß der Erfolg des Liedermachers, die Häufigkeit der "Klicks" auf seine Internetseiten, seine Bekanntheit und die Vielzahl seiner Auftritte und Tonträger erheblich seien und dies strafverschärfend wäre. Dabei berücksichtigte es allerdings kaum, daß Rennickes Lieder weder im Rundfunk noch im Fernsehen gespielt werden, und die Parteiveranstaltungen, auf denen er auftritt, von einem immer fast gleichen und kleinen Kreis besucht werden, was für die "Freundschaftstreffen" ebenso zutrifft.

Das Plädoyer von Rennickes Verteidiger Horst Mahler, das am sechsten Verhandlungstag begann und den kompletten siebten Tag in Anspruch nahm, dauerte insgesamt fast acht Stunden. Ein offensichtlicher Widerspruch zum ersten Prozeß bestand darin, daß die Verteidigung in einer breiten Einlassung auf die Thesen einer revisionistischen Broschüre mit dem Titel "Dokumente der Verteidigung­. Unterdrückte Tatsachen über Auschwitz und den Holocaust" einging, obwohl sie damit indirekt zugab, daß Rennicke diese gelegentlich seinen CD-Versendungen beigelegt habe und sich zudem mit deren Inhalten identifiziere, obwohl der Liedermacher vor dem Böblinger Amtsgericht den Vertrieb dieser Schrift noch kategorisch abgestritten hatte. Vor Mahler hatte Rennickes Ehefrau Ute eine sehr emotionale Schußrede gehalten, in der sie ihrem Mann die unbedingte Treue versicherte und auf die besondere Situation ihrer siebenköpfigen Familie einging, was zu kräftigem Applaus der im Zuschauerbereich versammelten Anhängerschaft des gebürtigen Niedersachsen auslöste.

Ob die Verteidigung Revision einlegt, ist noch unklar

Ob die Verteidigung Rennickes gegen das Urteil Revision einlegen wird, ist bislang noch ebenso unsicher, wie dessen künstlerische und finanzielle Zukunft. Zudem dürfte der gerade zu Ende gegangene Prozeß erst den Auftakt zu weiteren Verfahren gegen Rennicke darstellen. So sind während des Prozesses Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Urheberrecht gestellt worden, weil Rennicke beispielsweise Liedtexte von Hannes Wader vorgetragen und auf CDs gepreßt habe, ohne zuvor um Erlaubnis zu fragen bzw. die notwendiger Lizenzgebühren zu entrichten. Schließlich sollte Rennicke den Hinweis des Vorsitzenden Richters ernstnehmen, daß auch andere Lieder auf ihren möglicherweise volksverhetzenden Charakter geprüft werden sollten. Die Schlinge, die Innenministerien und Justiz mit ihren verschärften Maßnahmen gegen Rechts ziehen, wird immer enger.


 
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