© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/02 25. Oktober 2002

 
Bürgerliche hoffen auf eigene Mehrheit
Niederlande: Krise der Fortuyn-Partei brachte Regierung zu Fall / Neuwahlen für Januar geplant
Jerker Spits

Nach nur drei Monaten ist die niederländische Regierung aus Christdemokratischem Appell (CDA), der Liste Pim Fortuyn (LPF) und der rechtsliberalen Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) vergangene Woche zurückgetreten. Die CDA und VVD kündigten im Parlament die weitere Zusammenarbeit mit der LPF auf. Interne Machtkämpfe um die Nachfolge des ermordeten Parteigründers Pim Fortuyn hätten die Regierungsarbeit lahmgelegt.

"Es gab keine Grundlage mehr für eine weitere, fruchtbare und dauerhafte Fortsetzung der Koalition", erklärte Ministerpräsident Jan Peter Balkenende (CDA) nach Gesprächen mit den Vorsitzenden der Koalitionsparteien im Haager Parlament. Noch vor dieser Ankündigung hatte VVD-Fraktionschef Gerrit Zalm bereits sein Urteil gefällt. "Mit einer Partei, die immer wieder ins Chaos verfällt, kann man nicht regieren", erläuterte Zalm seine Ablehnung weiterer Zusammenarbeit mit der LPF.

Das Chaos im Folge des Machtkampfs hatte in den letzten Wochen das Erscheinungsbild nicht nur der LPF, sondern der gesamten Regierung beschädigt. "Wir haben das Holz für unseren Scheiterhaufen selbst angeliefert", meinte LPF-Fraktionschef Mat Herben, "und manchmal sogar die Streichhölzer dazugegeben". Herben meinte jedoch auch, daß der CDA und besonders die VVD der LPF einen üblen Streich gespielt hätten. Der 49jährige ehemalige Sprecher des Verteidigungsministeriums warf beiden Parteien vor, die Koalition mutwillig gesprengt zu haben. Am Tag vor der Auflösung des Kabinetts hätte er von den Christdemokraten und Rechtsliberalen noch "Signale" bekommen, daß mit dem Rücktritt der beiden umstrittenen LPF-Minister Eduard Bomhoff und Herman Heinsbroek die Fortsetzung der Koalition gesichert sei. Er sei am Morgen noch zu Balkenende in der Hoffnung gegangen, daß das Kabinett zu retten sei. Auch LPF-Berater und Politologe Rinus Van Schendelen bezeichnete die Verfahrensweise von VVD und CDA als "gemeinen Streich".

Bei der Parlamentswahl am 15. Mai war die LPF mit 17 Prozent (CDA 28, VVD 15,4) der Wählerstimmen aus dem Stand zur zweitstärksten Kraft im Parlament geworden. Ihr Gründer und Spitzenkandidat Pim Fortuyn, der am 6. Mai von einem linken Umweltaktivisten ermordet wurde, war im Wahlkampf für eine härtere Asyl- und Sicherheitspolitik eingetreten. Fortuyns Ermordung hinterließ in der erst wenige Monate alten Partei ein Machtvakuum.

Der neue LPF-Chef Herben, der die Koalitionsgespräche führte, mußte bereits wenige Wochen nach Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung das Feld räumen. LPF-Staatssekretärin Philomena Bijlhout trat bereits sieben Stunden nach ihrem Amtsantritt zurück, weil sie ihre Mitgliedschaft in einer surinamischen Miliz verschwiegen hatte.

Die LPF-Abgeordneten Winny de Jong und Cor Eberhard traten vor zwei Wochen aus der Partei aus, nachdem sie Herbens Nachfolger Harry Wijnschenk einen undemokratischen Führungsstil vorgeworfen hatten. In den letzten Wochen war der Streit zwischen Gesundheitsminister und Vizepremier Eduard Bomhoff und Wirtschaftsminister Herman Heinsbroek - der die Funktion des Parteivorsitzenden anstrebte und zugleich seine Ambitionen für das Amt des Vizepremiers bekanntgab - derart eskaliert, daß beide nicht mehr persönlich miteinander sprachen, sondern nur noch über Unterhändler kommunizierten. Am letzten Tag der Regierung war das Chaos in der LPF-Fraktion komplett: Wijnschenk erklärte CDA-Fraktionschef Maxime Verhagen, daß er als Vorsitzender eine Sammlung von "Gesindel" unter sich gehabt hätte, während sein Nachfolger Herben sich zur gleichen Zeit vergeblich bemühte, die Koalition zusammenzuhalten.

Auch über die EU-Erweiterung gingen in den letzten beiden Wochen die Meinungen innerhalb der Koalition auseinander. LPF-Minister hatten zuletzt zum Schrecken Balkenendes mit einem Veto gegen die Aufnahme mehrerer EU-Beitrittskandidaten gedroht. Auch die VVD hatte ihren Widerstand gegen die Aufnahme von Polen, Lettland und Litauen angekündigt.

Auf Grund Haager Drängens mußte EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen (SPD) seine Berichte über die EU-Reife der 13 Beitrittskandidaten am 9. und nicht, wie zuvor geplant, am 16. Oktober präsentieren. "Gerade am Beispiel der Niederlande wird man feststellen können, wie populär oder unpopulär die Erweiterung ist", sagte Martin Schulz, Chef der deutschen SPD-Gruppe im EU-Parlament, noch letzte Woche in der Berliner Welt. Die VVD hat angekündigt, aus der EU-Osterweiterung ein Wahlkampfthema zu machen. CDA-Fraktionschef Verhagen warnte am letzten Samstag aber vor einem niederländischen Alleingang. Der CDA gilt, wie die CDU unter Helmut Kohl, als dezidierter Befürworter Brüsseler Erweiterungspläne.

Doch den Christdemokraten und den Rechtsliberalen kommt die Regierungskrise nicht ungelegen. Meinungsumfragen lassen erkennen, daß durch Neuwahlen eine Mehrheit für CDA und VVD auch ohne LPF-Beteiligung möglich ist. VVD und CDA ließen schon kurz nach dem Fall des Kabinetts erkennen, daß sie nach den Wahlen gemeinsam weiterregieren möchten. Zalm erklärte außerdem, er wolle an der bestehenden Regierungserklärung, die eine härtere Sicherheits- und Immigrationspolitik vorsieht, festhalten. "Die VVD hat die letzte Regierungserklärung, inklusive die auf Initiative der LPF zurückgehende härtere Sicherheits- und Ausländerpolitik, zu ihrem neuen Parteiprogramm gemacht", kommentierte die Amsterdamer Tageszeitung Trouw.

Die LPF scheint das Vertrauen ihrer rund 1,6 Millionen Wähler verspielt zu haben. Die Partei dürfte, wären jetzt Wahlen, nur noch drei oder vier ihrer bisher 26 Mandate behalten. Die LPF plant aber einen Neuanfang. "Es gibt nach wie vor das Bedürfnis nach einer Alternative für die etablierten Parteien", erklärte LPF-Interimsvorsitzender Ed Maas. Als künftiger politischer Leiter der LPF wird der erfolgreiche Minister für Ausländer- und Integrationsfragen Hildebrand Nawijn gehandelt. Nawijn hatte sich - im Gegensatz zu vielen seiner Parteigenossen - in den letzten Monaten auf sein Amt konzentriert und zu den internen LPF-Streitereien Distanz bewahrt. Der 53jährige Ex-CDA-Politiker gilt als ausgesprochener Befürworter des neuen restriktiven "dänischen Modells" in der Einwanderungsfrage.

Vertreter mehrerer Fraktionen sprachen sich zunächst für baldige Neuwahlen möglichst noch in diesem Jahr aus. Jetzt sollen die Wahlen aber erst am 22. Januar stattfinden, um neuen Parteien die Chance zu geben, eine Kandidatenliste aufzustellen. Auch Wirtschaftsminister Herman Heinsbroek wird nachgesagt, zusammen mit dem Ex-LPF-Chef Harry Wijnschenk eine neue Partei, die "Neue Liste Pim Fortuyn" (NLPF) gründen zu wollen - und da es in den Niederlanden keine Fünf-Prozent-Hürde gibt, könnte das künftige Parlament noch bunter werden.


 
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