© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
PRO&CONTRA
Meisterbrief abschaffen?
Hans Kaiser / Tino Günther

Der Meisterbrief - oder wie es treffender heißt: der Meisterzwang - ist ein Hemmschuh für die Wirtschaft. Die erneute Diskussion fußt nicht nur auf den Vorschlägen der Hartzkommission, sie schwelt schon eine ganze Weile bei denen, die versuchen, privat etwas auf die Beine zu stellen.

Ein trauriges Beispiel der Wirkungsweise dieses Reliktes aus der Vergangenheit ist ein Raumdekorateur bei Bremen, der vor einem Jahr noch sieben Angestellte hatte. Das Ordnungsamt stattete ihm einen Besuch ab, durchsuchte sein Geschäft und verlangte 16.000 Euro Strafe. Der Dekorateur soll Arbeiten verrichtet haben, die nur ein Meister darf. Ihm wurde vorgeworfen, Gardinen anzufertigen, zuzuschneiden und selber zu nähen. Um diesen Service anbieten zu dürfen, fand das Ordnungsamt, müsse man den Meisterbrief haben. Der Laden mußte schließen, eine Tierhandlung zog ein - auch ohne Meisterbrief. Der Versuch, einen Meister einzustellen, schlug fehl: zu teuer. Der Dekorateur gab auf, sieben Angestellte verloren ihren Arbeitsplatz. Wo blieb da der Staat? Hätte er nicht dem Unternehmer zuerst helfen müssen, um Arbeitsplätze zu sichern? Ist dies der Lohn für die Risikobereitschaft, sich selbständig zu machen?

In diesen schnellebigen Zeiten ist es rückständig, weiter auf einem Meisterzwang zu beharren. Eine Ausbildung ist sehr teuer und viel zu langwierig. Arbeitskräfte werden uneffektiv genutzt und verteuert sich der Preis der Dienstleistung verteuert sich um ein vielfaches. Eine Meisterstunde ist schon heute kaum bezahlbar. Die Kosten variieren - besonders im Kraftfahrzeugbereich - zwischen 35 und 80 Euro.

Auch ohne einen Meisterbrief sollte ich ein Handwerk zum Wohle meiner Kunden ausüben können. Die Qualität muß hoch sein - sonst ist es schlecht um den Verkaufswert meiner Dienstleistung bestellt. Und selbst ein Meisterbetrieb ist vor Schlampereien nicht gefeit!

 

Hans Kaiser ist Unternehmer und Außenhandelskaufmann. Er leitet eine Dienstleistungsfirma.

 

 

Der Meisterbrief ist seit jeher entscheidend für die Zukunft des Handwerks und damit auch ein Stück wirtschaftlicher Fortschritt. Die Meisterausbildung befähigt dazu, ein Handwerk hervorragend zu beherrschen, einen Betrieb erfolgreich zu führen, Lehrlinge auszubilden, Arbeitsplätze zu schaffen und dauerhaft sichern zu können.

Die Qualifizierung vom Lehrling über den Gesellen zum Meister gewährleistet eine erfolgreiche Existenzgründung. Die geringere Krisenanfälligkeit meisterlicher Existenzgründungen gegenüber Existenzgründungen ohne Meisterbrief ist abzulesen: Nach fünf Jahren sind noch 80 Prozent der meisterlichen Existenzgründer auf dem Markt. In Branchen ohne Meisterbrief sind es knapp 40 Prozent.

Die Meister in Deutschland bürgen nicht nur für die Qualität der Arbeit "Made in Germany", sondern sind auch ein so positiver Standortfaktor, daß er erdacht werden müßte, wenn er nicht schon existierte.

Von interessierter Seite wird das Urteil des österreichischen Verfassungsgerichtshofes aus dem letzten Jahr als Aufhänger genommen, um die ausgestanden geglaubte Diskussion um die sogenannte Inländerdiskriminierung in Deutschland wieder aufleben zu lassen. Dies könnte - so meint man - einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz unseres Grundgesetzes sein, wenn EU-Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen ohne Meisterbrief in die Handwerksrolle eingetragen werden können, Inländer aber nicht.

Der Meisterbrief ist schließlich - und das nicht zuletzt - das "Diplom" für die nicht-akademischen Bevölkerungsteile in Deutschland und damit eine der stärksten Motivationen für Weiterbildungsanstrengungen nach der beruflichen Erstausbildung. Wer ihn abschaffen oder entwerten will, wird breite Bevölkerungskreise in Deutschland am wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg hindern.

 

Tino Günther ist Meister für Holzspielzeug und Mitglied des Landesvorstandes der FDP Sachsen, Arbeitskreis Handwerk.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen