© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
"Ein ganz anderes Politikverständnis"
PDS: Kluft zwischen Führung und Basis wird tiefer / Sächsischer Landesverband gewinnt Einfluß / Ausdehnung nach Westen endgültig gescheitert
Paul Leonhard

Über fünf neue Mitglieder, ausnahmslos unter 25 Jahre, freut sich Mirko Schultze, Chef der rund 250 Genossen zählenden PDS in Görlitz. "Von wegen Vergreisung", kommentiert Schultze. Die Zahlen des Statistischen Landesamtes Sachsen sprechen dagegen eine andere Sprache. Die Partei erhält kaum noch junge Stimmen. Dafür kann sie auf den ältesten Wählerstamm verweisen. Knapp 40 Prozent sind 60 Jahre und älter. Trotz Parteidisziplin aus alten Zeiten mußten die Genossen bei den Bundestagswahlen auch in Sachsen, wo sie seit 1999 nach der CDU die zweitstärkste Fraktion im Landtag sind, eine herbe Niederlage einstecken. Lediglich 16,2 Prozent stimmten am 22. September für die SED-Nachfolger. Die SPD konnte sich dagegen über 33,3 Prozent freuen und rückt bis auf 0,3 Prozent an die erfolgsverwöhnten Christdemokraten heran.

Trotzdem herrscht im Dresdner PDS-Hauptquartier zur Zeit Hochstimmung. Den Sachsen ist es gelungen, auf dem Geraer Bundesparteitag mehrere ihrer Leute, darunter Fraktionschef Peter Porsch, im neuen Bundesvorstand unterzubringen und damit das "jahrelange Übergewicht der Berliner Mitglieder" zu beenden, freut sich Rico Gebhardt, Geschäftsführer des mit 18.500 Mitgliedern stärksten Landesverbandes. Auch die wiedergewählte PDS-Bundesvorsitzende Gabi Zimmer wurde im Freistaat trotz der verlorenen Bundestagswahlen unterstützt.

Damit geht aber auch eine Machtverlagerung von der Spree an die Elbe einher. "Unsere Verantwortung für das Schicksal der Partei steigt", ahnt die ehemalige Dresdner Bundestagsabgeordnete Christine Ostrowski. Und die sächsische Landesvorsitzende Cornelia Ernst appelliert bereits an die eigenen Genossen, den Berliner Tunnelblick jetzt nicht durch einen sächsischen zu ersetzen. Gemeinsam mit ihren Länderkollegen möchte die 45jährige Ex-Lehrerin die Geschicke der angeschlagenen Partei wieder in den Griff bekommen. Dazu wird es aber erst nötig sein, die nach dem Abstimmungskampf in Gera verhärteten Fronten aufzuweichen.

Einen Beitrag, daß die PDS ihre durcheinandergeratenen Reihen wieder schließt, leistet derweil SPD-Chef Gerhard Schröder. Wenn der Zigarrenraucher und Autolobbyist die Linkssozialisten zum Überlaufen in seine Partei auffordert, in dem der Kanzler die "wahrhaft historische Chance" beschwört, die "schmerzliche Spaltung der Arbeiterbewegung" auf demokratischem Weg zu überwinden, dann ballen die Genossen die dünnen Fäuste in den Manteltaschen und scharen sich im Sinne von Karl Liebknechts "Trotz alledem" um ihre geliebt-gehaßten Führungskader: Die Partei befände sich weder "mitten im Prozeß der fortschreitenden Selbstauflösung" noch könne von einem "gescheiterten Parteiprojekt" gesprochen werden, hallt es dem Hannoveraner entgegen.

Allein in Potsdam haben die Genossen bei der Oberbürgermeisterwahl am vergangenen Wochenende gezeigt, daß sie nach wie vor eine ernsthafte Gefahr für die Sozialdemokratie sind. Gerade mal mit äußerst knappen 50,1 Prozent konnte sich in der Stichwahl der SPD-Kandidat Jann Jakobs gegen den PDS-Herausforderer Hans-Jürgen Scharfenberg durchsetzen. Osterfahrene SPD-Politiker wie der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, glauben ohnehin nicht, daß jetzt "scharenweise PDS-Mitglieder bei der SPD anklopfen".

Trotzdem, der Bedeutungsverlust nach dem Verlust der Bundestagsfraktion schmerzt. Daß die Linkssozialisten auch nach dem Geraer Parteitag noch in einer der schwersten Krisen seit ihrer Mutation von der SED zur PDS stecken, zweifelt in der Partei allerdings niemand an. Nur die Ursachen dafür werden nicht beschrieben und definiert. Gerade die Anbiederung an die Sozialdemokratie ist aber - neben dem Rücktritt Gregor Gysis, den Brandenburgs PDS-Fraktionsvorsitzender Lothar Bisky rückblickend als "einen der größtmöglichen Fehler" bezeichnet - für viele Basisgruppen der Grund für das Wahldebakel. Daß die Leute im Osten einfach aus Angst vor Edmund Stoiber SPD gewählt hätten, wie Bisky das Wahlergebnis erklärt, ist zwar nicht ganz falsch, aber nicht die alleinige Ursache. Interessanter ist da schon sein Eingeständnis "außerdem haben wir im Osten auch einige verloren durch Vergangenheitsdebatten".

Auch die Regierungsbeteiligung in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern dürfte der Partei nicht bei allen ihren Anhängern Bonuspunkte gebracht haben. Das Konzept der "gestaltenden Opposition" kam nicht überall an, vor allem da in der politischen Praxis die leeren Kassen wenig Gestaltungsspielraum für das Mitregieren zuließen.

Galionsfigur Gregor Gysi, der stets für das Mitregieren eintrat und darin keinen Widerspruch zur PDS als gesellschaftlicher Opposition sieht, hat sich - zumindest vorübergehend - aus dem politischen Geschäft zurückgezogen. Seit Gera nicht mehr im Vorstand ist auch die bisherige stellvertretende Parteichefin Petra Pau. Sie räumt ein, daß die Parteiführung in den vergangenen Jahren "ein Konzeptions- und Strategiedefizit zugelassen" habe, für das man bei den Bundestagswahlen die Konsequenz erfahren habe. Und Bisky meint: "Die PDS hat viele Potenzen, wenn die sich nicht ständig gegenseitig blockieren." Die gegenseitigen Blockaden würden "geistige Armut und eine Kultur ohne Zukunft" offenbaren. Für den PDS-Ehrenvorsitzenden Hans Modrow hat die Partei "die Auseinandersetzung genau in ihrer Mitte". Für den wegen Anstiftung zur Wahlfälschung verurteilten 74jährigen ist die PDS "zu einer neuen Partei mit sozialistischem Charakter" geworden, die "in sich sozialistische Traditionen der Sozialdemokraten und humanistische Elemente der kommunistischen Überzeugung" vereint. Mit dieser Beschreibung setzt Modrow die Klammer für die Strömungen, die seiner Meinung nach Platz in der PDS haben und künftig ihr Profil bestimmen sollen.

Was den Genossen derzeit fehlt, sind feste Führungspersönlichkeiten, an die sie sich klammern können. Personaldebatten behagen der Basis nicht. Sicher, man äußert sich kritisch, aber wenn die Befehdeten anschließend ausreichend Selbstkritik üben, ist wieder alles gut. Petra Pau, eine der beiden Abgeordneten die das Fähnlein der PDS im neuen Bundestag hochhalten dürfen, beklagt, daß in den Bundesvorstand Menschen gewählt wurden, die in der Mehrzahl "ein ganz anderes Politikverständnis haben als ich". Man kümmere sich mehr um die Komplexität der Politik, sondern setze auf außerparlamentarische Kräfte. Dabei bestehe die Gefahr, daß die Partei "zu sehr zur Bewegung" werde. "Gera verkörpert den Auszug der PDS aus der Berliner Republik in ein mentales Niemandsland aus DDR-Gewohnheiten, anti-kapitalistischen Grundüberzeugungen, und anti-westdeutschen Aversionen hinein", beschreibt der Schriftsteller Lutz Rathenow im Deutschland-Radio Berlin die aktuelle Situation einer "Partei der Vertriebenen aus der Gegenwart", die alle versammelt, "die diesen Staat im Grunde einfach eklig finden".

Endgültig gescheitert ist die PDS mit ihrem Versuch, zu einer relevanten gesamtdeutschen Partei zu werden. Die bei diesem Projekt gemachten politischen Zugeständnisse haben sie ebenso wie die Regierungsbeteiligung wertvolle Wählerstimmen gekostet. Jetzt ist sie weder Volkspartei im Osten noch Protestpartei im Westen. Dank der straffen Organisation der Basisgruppen wird ihr aber auf (eine biologisch) absehbare Zeit das Schicksal der Bündnisgrünen erspart bleiben, die schon heute in den neuen Ländern nichts anderes sind, als eine Splitterpartei. Die Linkssozialisten werden sich für die nächsten Jahrzehnte damit begnügen, weiterhin der SPD das Leben im Osten schwer zu machen.

Rücksichten auf eventuelle westdeutsche Befindlichkeiten muß sie dabei nicht mehr nehmen. Ob sie aber als Partei eine Zukunft haben, wird davon abhängen, ob sie für neue Wählergenerationen einen politischen Gebrauchswert hat.


 
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