© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
Schlag ins Gesicht
Herbstgutachten: Sechs führende Wirtschaftsforschungsinstitute kritisieren die Politik der rot-grünen Bundesregierung
Dirk Fischer

Noch nie ist eine neu gewählte Bundesregierung so schnell in die Kritik geraten. Einen Monat nach der Wahl legen die sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute ihr Herbstgutachten vor. Und das ist wenig schmeichelhaft für die alte und neue Koalition.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird in diesem Jahr nur um 0,4 Prozent wachsen. Im Frühjahr waren die Wirtschaftsforscher noch von 0,9 Prozent ausgegangen. Auch das Wachstum für 2003 mußten sie mit 1,4 Prozent gegenüber 2,4 Prozent nach unten korrigieren. Das - eigentlich SPD-nahe - Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist in seinem Minderheitsvotum sogar noch pessimistischer und sieht für das kommende Jahr eine Stagnation beim Wirtschaftswachstum voraus. Die Arbeitslosigkeit wird sich im nächsten Jahr von 4,05 auf 4,1 Millionen erhöhen.

Als Ursache für die verschlechterten Konjunkturaussichten nennen die Institute die letzten Aktienkurseinbrüche, die zu Vermögensverlusten und Problemen bei der Unternehmensfinanzierung führten, die Irak-Krise mit dem damit verbundenen gestiegenen Ölpreis und die verschlechterte preisliche Wettbewerbsfähigkeit deutscher Exporteure aufgrund der Aufwertung des Euros. Zudem habe sich auch die nachlassende Konjunktur in den USA ausgewirkt.

Die prognostizierte Erholung für das nächste Jahr, die allerdings hinter früheren Vorhersagen zurückbleibt, begründen die Ökonomen auch dementsprechend mit einer deutlichen Erholung der Weltwirtschaft, die zu einer Zunahme der Exporte um 5,3 Prozent im nächsten Jahr führen soll.

Die Aufwendungen für die Beseitigung der Hochwasserschäden in Höhe von 13,5 Milliarden Euro tragen auch zum Wirtschaftswachstum bei. Diese werden hauptsächlich über Steuern finanziert, indem die Einkommensteuerreform auf 2004 verschoben und die Körperschaftsteuer vorübergehend erhöht wird. Unter Berücksichtigung dieser kontraktiven Effekte errechnen die Volkswirte eine zusätzlich angestoßene Nachfrage von 8,5 Milliarden Euro.

Bisher fällt schon auf, daß die positiven Faktoren alle exogen und nicht etwa auf die Wirtschaftspolitik zurückzuführen sind. So beruht der für das nächste Jahr vorausgesagte leichte Aufschwung auf den problematischen Annahmen, daß Ölpreis und Aktienkurse auf dem gegenwärtigen Niveau verharren.

Das Herbstgutachten läßt denn auch an der Wirtschaftspolitik kein gutes Haar. Sie habe bisher wenig zur Lösung der drängenden Probleme von Wachstum und Beschäftigung beigetragen. Zwar könne die Regierung nicht für die momentan schwache Weltkonjunktur verantwortlich gemacht werden, aber die im internationalen Vergleich niedrigen Wachstumsraten und die hohe Arbeitslosigkeit seien ein langfristiges Problem. Das zeigt sich insbesondere in der Finanzpolitik. Deutschland wird in diesem Jahr die im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1997 festgelegte Obergrenze für das staatliche Budgetdefizit von drei Prozent des BIP überschreiten.

Damit droht ein Verfahren von seiten der EU. Bundesfinanzminister Eichel hatte einen sogenannten Blauen Brief im Februar noch mit dem Versprechen abwenden können, 2004 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Dazu sollten die Ausgaben des Bundes in 2003 und 2004 um jeweils 0,5 Prozent gesenkt und der jährliche Ausgabenzuwachs von Ländern und Gemeinden auf 1 Prozent begrenzt werden. Davon ist man jetzt weit entfernt. Laut Herbstgutachten steigen die Staatsausgaben in diesem Jahr um 2,2 Prozent und in 2003 um 1,9 Prozent. Die Bundesregierung macht für diese finanzpolitische Zielverfehlung die konjunkturelle Lage verantwortlich. Das ist nur auf der Einnahmeseite richtig. Hier kommen noch die Ausfälle bei der Körperschaftsteuer nach der Unternehmensteuer hinzu. Die Unternehmen schütteten in unerwartetem Maße Gewinne aus, die noch mit dem alten Steuersatz von 40 Prozent belegt waren und hatten damit Anspruch auf Erstattung der Differenz zum damaligen Steuersatz von 30 Prozent auf ausgeschüttete Gewinne. Insgesamt errechneten die Wirtschaftsexperten für das laufende Jahr Mindereinnahmen von 16 Milliarden Euro.

Die Konjunkturforscher werfen der Regierung aber vor, kein Konzept für eine ausreichende Ausgabenbegrenzung zu haben. Konjunkturbereinigt liegt das Haushaltsdefizit bei zwei Prozent, also auf gleichem Niveau wie 1997 beim Abschluß des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.

Nur über eine Haushaltskonsolidierung durch eine Senkung der Staatsausgaben könnten die Steuer- und Abgabenlast vermindert und damit die Wachstumskräfte gestärkt werden. Das sei der beste Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Die Koalitionsvereinbarungen zur Anhebung von Steuern und Sozialabgaben seien das Gegenteil des wachstumspolitisch Gebotenen.

Das strukturelle Defizit, bezogen auf das BIP, hätte seit 1998 um lediglich 0,25 Prozentpunkte pro Jahr reduziert werden müssen, um selbst bei pessimistischen Konjunkturprognosen bis 2004 einen Budgetausgleich zu erreichen. Dieser sei kein Selbstzweck, machen die Konjunkturforscher deutlich. Hohe Staatsdefizite führten tendenziell zu höheren Realzinsen und damit zu geringerem Wirtschaftswachstum. Hinzu komme die Schwierigkeit, daß die Defizite später von einer alternden Gesellschaft geschultert werden müßten.

Die Hoffnungen der Bundesregierung in die Vorschläge der Hartz-Kommission zur Senkung der Arbeitslosigkeit werden von den Instituten nicht geteilt. Das Konzept werde zwar voraussichtlich die Effizienz der Arbeitsvermittlung verbessern, aber hier lägen nicht die Ursachen für die niedrige Beschäftigungsdynamik. Vielmehr seien das geringe Wachstum, ein inflexibler Arbeitsmarkt und eine zu geringe Lohnspreizung verantwortlich. Hierzu biete die Hartz-Kommission keine Lösung an, was aber auch nicht ihre Aufgabe war.

Zur Erhöhung der Beschäftigung empfehlen die Gutachter, daß die Zunahme der inflationsbereinigten Löhne sich an der Produktivitätssteigerung orientiert. Soll die Beschäftigung gesteigert werden, so müßten die Arbeitskosten sogar langsamer steigen, denn nur so bestünden Anreize für die Unternehmen, mehr Arbeitskräfte nachzufragen. Die Wirtschaftsforscher empfehlen deshalb einen Anstieg der Arbeitskosten einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge unterhalb einer beschäftigungsneutralen Rate von 2,5 Prozent.

Insgesamt ist das Herbstgutachten ein Schlag ins Gesicht der rot-grünen Koalition. Vorherige Bundesregierungen fanden immer etwas in den Gutachten, das sie sich positiv anrechnen konnten. Das war diesmal nicht der Fall. Die Kritik der beginnenden Legislaturperiode ist jetzt schon geschrieben.


 
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