© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
Mord bei Vollmond
Kino: "Roter Drache" von Brett Ratner
Claus-M. Wolfschlag

Sieben Jahre vor dem mittlerweile weltweit bekannten Kult-Thriller "Das Schweigen der Lämmer", schrieb Autor Thomas Harris 1981 seine Novelle "Roter Drache". 1986 verfilmte Starregisseur Michael Mann die Geschichte meisterhaft unter dem Namen "Manhunter" (deutscher Titel: "Blutmond"). Warum nun eine Neuverfilmung des gelungenen Originalfilms produziert wurde, fragt sich der Betrachter. Und er kann nur zu dem Schluß kommen, daß die Lösung in Vermarktungsstrategien liegt. So darf nun die Figur des exaltiert-intellektuellen Kannibalen Hannibal Lecter in einer kompletten Trilogie mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle bewundert werden.

Oscar-Preisträger Hopkins, der schon durch seinen geheimnisvollen Blick eine Aura der Undurchsichtigkeit und Gefährlichkeit verbreitet, war bereits 1990 in Jonathan Demmes "Das Schweigen der Lämmer" und 2001 in Ridley Scotts "Hannibal" in der Rolle des irrsinnigen Arztes eingesetzt worden. Hopkins, der gerade als "Hannibal Lecter" zu Weltruhm gelangte, bekennt zu seiner Rolle: "Das faszinierende an Lecter ist, daß er die dunkle Seite jedes Menschen darstellt. Hannibal macht die Leute auf ihre Lügen aufmerksam und ihre Schatten und ihre eigenen düsteren Seiten."

Zur Handlung: Der kannibalistische Mörder Dr. Hannibal Lecter sitzt schon seit Jahren im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnishospitals. Dennoch gibt er anscheinend immer noch ein Vorbild für allerlei Perverse und Geistesgestörte ab. FBI-Detektiv Will Graham, dem Lecter seinerzeit die Verhaftung zu verdanken hatte, hat sich hingegen geläutert mit seiner Familie nach Florida in den Ruhestand begeben. Doch Lecter hat einen neuen Fan, einen Mörder, der von der Vorstellung seiner Selbstverkörperung als todbringender "roter Drache" besessen ist und in Vollmondnächten grausame Ritualmorde vollzieht. Graham, ausgestattet mit der besonderen Begabung, sich in die Psyche von Verbrechern hineinzuversetzen, wird vom FBI fürdie Lösung des Falles als Hilfskraft herangezogen. Graham setzt sich deshalb mit seinem ehemaligen Gegenspieler Hannibal Lecter in Verbindung, auf das jener bei der Lösung des Falles behilflich sei...

Die Neuverfilmung, für die Jungfilmer Brett Ratner herangezogen wurde, erweist sich als zwar professionell gedrehter, aber ausgesprochen aalglatt inszenierter Streifen. Ihm fehlt der schräge Independent-Charme des Originals. Statt dessen wird mit Versatzstücken aus unzähligen, bereits gesehenen Filmen gearbeitet. Mörder Dolarhyde lebt nun nicht mehr in einer futuristisch dekorierten Wohnung, sondern in einer heruntergekommenen viktorianischen Villa mit übergroßem Porträt der Großmutter im Salon, alles förmlich nach Norman Bates und "Psycho" muffelnd. Statt der treibenden Rockmusik in "Blutmond" wurde nun altbekannte Streichorchester-Soße über die Bilder gelegt. Zudem wurden allerlei bekannte Schockeffekte eingesetzt. In dem für die Neuverfilmung umgeschriebenen Finale kehrt der Mörder dann natürlich zur Erhöhung des Thrills nach seiner scheinbaren Niederlage noch einmal wieder und macht Jagd auf den smarten FBI-Polizisten, nachdem man ihn längst für tot geglaubt hatte. Alles bekannt, und auf ein actionbegeistertes Durchschnittspublikum zugeschnitten. Zum Glück existiert da noch die erstklassige Literaturvorlage, die immerhin verhindern konnte, daß das ganze Drehbuchfeilen nur noch zu gänzlich langweiliger Konfektionsware führte.

Bleibt als positiv hervorzuheben die ausgezeichnete schauspielerische Leistung der Akteure. Neben Harvey Keitel als FBI-Chef Jack Crawford und Edward Norton ("American History X", "Fight Club") als Spürhund Will Graham sind vor allem der Mörder und sein potentiell letztes Opfer hervorragend besetzt. Emily Watson als die blinde Reba Mc Clane, welche sich zufällig mit dem Mörder anfreundet, präsentiert sich als Meisterin des Minenspiels. Ralph Fiennes versteht es, die innerseelischen Qualen des Massenmörders Francis Dolarhyde, sein Schwanken zwischen Mord- und Selbstmordlust, die Hoffnung, den übermächtigen Todestrieb vielleicht eine Zeit lang besiegen zu können, wahrhaft eindrucksvoll darzustellen.


 
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