© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
Ausbruch ins Unversicherbare
Erinnerung an H. E. Nossack
Werner Olles

Einem größeren Publikum wurde der Lyriker, Theaterautor und Erzähler Hans Erich Nossack erst in seiner zweiten Lebenshälfte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bekannt. Geboren am 30. Januar 1901 als Sohn eines Hamburger Kaffeeimporteurs, studierte er bis 1922 in Jena Philosophie und Jura und verdiente anschließend als Fabrikarbeiter und Büroangestellter seinen Lebensunterhalt. Politisch stand Nossack der KPD nahe, den Aufstieg des Nationalsozialismus beobachtete er mit Entsetzen; 1933 wurde er mit Schreibverbot belegt. Seinen geistigen Widerstand gegen das Regime hat er in dem 1967 erschienenen autobiographisch gefärbten Roman "Dies lebenslose Leben" geschildert: "Nicht auf die physische Widerstandskraft kam es an, sondern allein auf die geistige. Nur mit ihr vermochte der wehrlose Einzelne die Selbstachtung zu bewahren und damit den Punkt zu gewinnen, von dem aus es ein absolutes Nein zur Unmenschlichkeit gibt."

Das Schlüsselerlebnis seines Lebens war das "Unternehmen Gomorrha", die Bombardierung Hamburgs im Juli 1943 durch die Alliierten. Der Schriftsteller erlebte die anrollenden Bomberverbände vom Rand der Lüneburger Heide aus, wohin er mit seiner Frau geflüchtet war. Ein paar Tage später kam er in die fast völlig zerstörte Stadt zurück. Diese fremde Welt des Grauens und des Todes - über 60.000 Menschen waren dem Feuersturm zum Opfer gefallen - beschreibt er in seinem 1948 erschienenen autobiographischen Bericht "Der Untergang".

In den fünfziger Jahren entwickelte sich Nossacks Werk vom Dokument einer Welterfahrung, die von der Gegenwart des Todes und der Vernichtung bestimmt ist, unmerklich zu einer Camus verwandten Thematik : Fremdheit im Leben, Beziehungslosigkeit und das Motiv des versuchten Ausbruchs aus dem bürgerlichen Leben ins "Unversicherbare". 1961 erschien "Nach dem letzten Aufstand", eine rückwärts gewandte Utopie, die Gegenwartskritik mit exotischen Motiven zu verbinden suchte, und angesichts des allgemeinen Konformismus für eine innere Distanz als mögliche Haltung plädiert.

Die letzten Romane des 1961 mit dem Georg-Büchner-Preis geehrten Autors ("Dem unbekannten Sieger", "Die gestohlene Melodie" und "Ein glücklicher Mensch") lösten bei der Kritik kaum noch Reaktionen aus. Nossacks altmodischer Existentialismus und seine Appelle an menschliche Würde und Freiheit waren der seit dem Ende der sechziger Jahre herrschenden Politisierung und Banalisierung der Literatur zum Opfer gefallen. Am 2. November 1977 starb Hans Erich Nossack im Alter von 76 Jahren in seiner Heimatstadt Hamburg.


 
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