© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/02 01. November 2002

 
Neue Technologien: Schilddrüsenhormon als Psychopharmakon
Und bloß keinen Kropf kriegen
Angelika Willig

Wie so mancher Schauspieler, dem man nur ein gutes Aussehen nachsagt, hat Richard Gere neben belanglosen Rollen auch ein paar Proben seines außergewöhnlichen Könnens geliefert. Eine davon ist die bipolare Persönlichkeit aus dem Film "Mr Jones" mit der ebenso attraktiven Lena Olin als Psychiaterin. Über die Hollywood-Verpackung hinaus wird hier die eindrucksvolle Darstellung eines Leidens gegeben, das nur ein bis zwei Prozent der Bevölkerung aus Erfahrung kennen. Die anderen stellen sich unter "manisch-depressiv" so etwas vor wie himmelhochjauchzend, zu Tode betrübt und behaupten, gelegentliche Stimmungswechsel gehörten zum Leben dazu. Doch Richard Gere als "Mr Jones" führt vor, wie allein der Gang eines Manikers dessen innere Euphorie verrät, wie Ton und Stimme vom Gutgelaunten, Fröhlichen ins Hysterische kippen, so daß der Absturz in tiefste Depression geradezu notwendig wirkt. Ohne Behandlung nimmt dieser Wechsel seinen Lauf durchs ganze Leben des Kranken und zerstört jeden Versuch, sich beruflich und sozial zu etablieren, mit teuflischer Pünktlichkeit.

Dem Teufel schreiben wir die Ursache allerdings nicht mehr zu, sondern einem gestörten Hirnstoffwechsel. Zunächst sagt das nicht viel mehr, als daß oben "eine Schraube locker" ist. Doch die zufällige Entdeckung, daß das chemische Element Lithium, regelmäßig als Salz eingenommen, die psychotischen Phasen verhindern kann, brachte für einen Großteil der Patienten die Rettung. Viele Manisch-Depressive, über deren Neurotransmitter-Defekte man immer noch rätseln muß, führen mit Lithium ein völlig normales Leben. Allerdings nicht alle. Wenn die Erfahrungswerte der Medizin zur Heilung ausreichten, würde vielleicht keiner mehr das Geld in aufwendige Forschung stecken, um der Krankheit wirklich auf die Schliche zu kommen. Die Hypothese, wonach es sich bei Psychosen stets um eine Störung der Reizweiterleitung zwischen Neuronen handle, hat sich als erweiterungsbedürftig erwiesen. Ergebnisse einer seit 15 Jahren laufenden Studie beweisen, daß auch das Schilddrüsenhormon auf den Gehirnstoffwechsel einwirkt. Mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) läßt es sich darstellen. Patienten, die auf Lithium nicht ausreichend reagierten, können mit der zusätzlichen Gabe von Schilddrüsenhormon entsprechend günstig eingestellt werden. Auf einer Konferenz in der Berliner Charité stellte Peter Whybrow aus Los Angeles seine Ergebnisse vor. Auch Michael Bauer, leitender Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik der Charité, hat bereits hier geforscht. Jetzt soll die klinische Erprobung beginnen. Sicher dürfen immer mehr Medikamente in der Psychiatrie nicht als Heilungsersatz verkauft werden. Doch der endgültige Sieg über die großen Psychosen wird vielleicht nur in einer genetischen Auslese bestehen können. Und diese Normalität wäre gefährlicher noch als der Wahnsinn.


 
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