© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
Miese Stimmung bei der Truppe
Bundeswehr: Niederschmetternde Ergebnisse in einer Studie über Auslandseinsätze geben Anlaß zur Sorge
Michael Waldherr

Wenn Minister das eigene Ressort per Selbstbeweihräucherung vernebeln, dient das oft nur dazu, Mißstände, die zum Himmel stinken, mit Wohlgerüchen zu überdecken. Rudolf Scharping einst, wie auch Nachfolger Peter Struck jetzt rühmten und rühmen als Verteidigungsminister, wie gut es den deutschen Soldaten im Auslandseinsatz geht: "Egal ob auf dem Balkan, in Afghanistan oder am Horn von Afrika - die Truppe hat, was sie braucht und sie ist hoch motiviert", so lautet die Botschaft des "obersten Dienstherrn" der Bundeswehr - und den Betroffenen bleibt die Spucke weg.

Eine interne Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr in Strausberg kommt zu völlig anderen Ergebnissen als jenen, die dem Verteidigungsministerium recht sein können: 50 Prozent der Beziehungen von Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz zerbrechen. 75 Prozent der Familien leiden unter den Einsätzen. Die Quote ausscheidender Zeitsoldaten im Einsatz liegt um 15 Prozent höher als bei jenen, die nicht im Einsatz stehen. Vor allem die lange Einsatzdauer von sechs Monaten wird als Problem angeführt. Die Mehrheit der Bundeswehrsoldaten plädiert deshalb dafür, wieder zur ursprünglichen Einsatzzeit von vier Monaten zurückzukehren. Beklagt wird in der Untersuchung auch die überwiegend mangelhafte Betreuung der Angehörigen in Deutschland durch die Familienbetreuungszentren der Streitkräfte.

Politisch besonders brisant ist ein Ergebnis der Studie, wonach nur rund 15 Prozent der Soldaten die Ansicht vertreten, ihr Auslandseinsatz trage etwas zur Verbesserung der Situation im jeweiligen Einsatzland bei. Die allermeisten ihrer Kameraden beklagen das Fehlen einer politischen Zukunftsperspektive, die für die Sinnhaftigkeit ihres Tuns wichtig wäre. Dies gilt vor allem für den Balkan, wo in der Truppe die Auffassung weit verbreitet ist: "Wenn wir hier weggehen, schießen die wieder aufeinander."

Dies ist deshalb so schlimm, weil das "Helfen-wollen" ein wesentliches Motiv für den Auslandseinsatz ist. Die Bundeswehrsoldaten wollen aber nicht ihren Kopf hinhalten, nur weil Politiker nicht weiter wissen.

Mehr noch: Auch das Vertrauen in die Vorgesetzten schwindet im Lauf des Einsatzes. Etwa die Hälfte der befragten Soldaten hat angegeben, daß sich ihre Meinung von den für sie verantwortlichen Vorgesetzten über die Zeit verschlechtert hat. Interessant dabei ist, daß dies vor allem für die höheren Vorgesetzten gilt. Die Gruppen- und Zugführer sowie die Kompaniechefs oder Kommandanten auf den Schiffen der Marine kommen besser weg. Wie Abhilfe zu schaffen ist, wird derzeit im Verteidigungsministerium intensiv diskutiert. Dabei spielt vor allem die Frage eine Rolle, ob die Einsatzzeit wieder auf vier Monate verkürzt werden soll. Denn die Regel, nach sechs Monaten Auslandseinsatz zwei Jahre lang in der Heimat zu bleiben, läßt sich in vielen Fällen nicht durchhalten. Spezialisten wie Operations-Feldwebel, Brückenbauer, Minen-Entschärfer oder IT-Techniker werden regelmäßig vor Ablauf der Frist wieder in den Einsatz geschickt, weil die Truppe sie dort einfach braucht.

"Diese Ergebnisse sind niederschmetternd und die Stimmung in der Truppe ist mehr als mies", erklärt dazu der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Christian Schmidt: "Kein Wunder, daß Verteidigungsminister Struck die Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr unter der Decke halten wollte."

Pikant: Das Institut wird von Jörn Thießen geleitet - Scharpings ehemaligem Büroleiter. Nun bestätigt diese Forschungseinrichtung die Feststellungen des "Löchel-Berichts" aus dem Jahr 2001.

Es ist nur zu hoffen, daß dem Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts das Schicksal des Brigadegenerals Dieter Löchel erspart bleibt. Löchel hatte als Beauftragter für Erziehung und Ausbildung beim Generalinspekteur der Bundeswehr in seinem Jahresbericht 2001 ebenfalls auf Mißstände deutlich hingewiesen und wurde am 30. September 2001 stillschweigend und weitgehend unbemerkt eineinhalb Jahre vor der normalen Pensionierung aus den Streitkräften der Bundesrepublik Deutschland entlassen.


 
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