© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
Eine Art Betriebsunfall
Revolution im deutschen Pressewesen: Gehen "FAZ" und Springer bald eine Kooperation ein?
Andreas Wild

Wo Rauch ist, da ist nicht immer auch Feuer. Trotzdem war es bemerkenswert, als der Medienprofessor Lutz Hachmeister, der im Münchner Beck Verlag soeben das Buch "Die lieben Journalisten" herausgebracht hat, vorige Woche in einem ZDF-Interview ganz ungeniert über eine mögliche Kooperation zwischen dem Berliner Springer Verlag und der Stiftung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Frankfurt am Main plauderte. Zwar werde dieses Projekt, so Hachmeister, von beiden Seiten immer wieder geleugnet, es liege aber "in der Logik der Entwicklung".

Hachmeisters Gewährsmann war kein geringerer als der Vorstandsvorsitzende von Springer, Mathias Döpfner, der in letzter Zeit bereits einige Male verlautbart habe, daß angesichts der schweren Krise des Pressewesens in Deutschland à la longue nur Platz für zwei überregionale Qualitätszeitungen sei. Hachmeisters Vermutung: Gemeint sei dabei wohl auf der einen Seite die Süddeutsche Zeitung, die die Frankfurter Rundschau schlucke und ihrerseits von einem der großen "liberalen" Medienkonzerne geschluckt werde (WAZ, Holtzbrink), auf der anderen Seite die FAZ, die die hochdefizitäre, in jeder Hinsicht notleidende Welt schlucke und ihrerseits vom Springer-Konzern geschluckt werde.

Kurz bevor das Hachmeister-Interview ausgestrahlt wurde, hatte im Frankfurter Wirtschaftsdienst Platow-Brief (der als hochseriös und sehr zuverlässig gilt) die Meldung gestanden, der als neuer FAZ-Aufsichtsratsvorsitzender und Sanierer in Aussicht genommene Flickmanager Wolfgang Bernhardt plane, das fünfköpfige Herausgebergremium der FAZ durch einen einzigen Chefredakteur zu ersetzen und die ungemein kostenaufwendige Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) zum Jahresende einzustellen. Der neue Chefredakteur werde Wolfram Weimer sein, bisher Chefredakteur von Springers Welt. Einstellungsgespräche seien bereits anberaumt.

Die sensationelle Meldung wurde sowohl von Bernhardt als auch von Weimer umgehend dementiert, das Gespräch wurde abgesagt. Doch es entzündete sich zwischen den beiden nun ein erbittertes, per Faxgerät ausgetragenes Wortgefecht, das sich auf die Frage zuspitzte: Wer hat den Platow-Brief über das geplante Treffen und seinen angeblichen Gegenstand informiert? War es Weimer, der sich wichtig machen wollte, war es Bernhardt, der ein hartes Zeichen für seine zukünftige Sanierungspolitik setzen wollte? Oder waren es interessierte Dritte, die den Fall benutzten, um eigene Interessen zu fördern, Intrigen zu spinnen und "über die Bande zu spielen"?

Ins Visier der Kommentatoren gerieten zunächst einzelne Herausgeber der FAZ bzw. das gesamte Herausgebergremium. Es hätte, so Weimer, von seinem geplanten Treffen mit Bernhardt gewußt und sei dadurch in Panik geraten. So habe man denn die "absurde Desinformation" an Platow gegeben, um Bernhardt zur Erklärung einer "Bestandsgarantie" für das Herausgebergremium zu nötigen, was ja auch gelungen sei.

Aber auch Springer-Chef Mathias Döpfner (39) wird inzwischen als Platow-Informant verdächtigt. Er sei seines Welt-Chefredakteurs Weimer gründlich überdrüssig, da unter dessen Leitung die Auflage der Welt drastisch zurückgehe und von ihm dauernd Indiskretionen in Richtung FAZ befürchtet werden müßten. Das in Aussicht genommene Gespräch mit Bernhardt habe das Faß zum Überlaufen gebracht. Indem man den Termin publik machte, schlug man gewissermaßen mehrere Fliegen mit einer Klappe: Man stellte Weimer bloß und machte ihn abschußreif, man verbreitete Panik im Hauptquartier der Konkurrenz, dem Herausgebergremium der FAZ, und man säte Verdacht zwischen diesem Gremium und dem neuen FAZ-Sanierer Bernhardt.

Eine weitere Deutungsmöglichkeit der Platow-Affäre ließ Lutz Hachmeister anklingen: Die Sache war keine Intrige, sondern eine Art Betriebsunfall. Die Verhandlungen zwischen FAZ und Springer fanden bisher unter tiefstem Schweigen nach außen statt - und sind jetzt plötzlich ins grelle Licht der Öffentlichkeit gerückt, und zwar durch das Ungeschick Weimers, der - wie er selbst einräumt - einem der FAZ-Herausgeber, dem mit ihm befreundeten Holger Steltzner, schon vor längerem "beiläufig" von dem geplanten Treffen mit Bernhardt erzählt hat. Steltzner hatte offenbar nichts Eiligeres zu tun, als die Geschichte an seine Herausgeberkollegen weiterzugeben, und einer von denen ging damit zu Platow.

Ob nun aber Intrige oder Betriebsunfall, die Tage des erst 37jährigen Weimer bei der Welt dürften gezählt sein. Die "Projektgruppe Fraktur" bei Springer (Fraktur=FAZ) muß deshalb aber noch lange nicht arbeitslos werden. Hachmeister hat recht: Ein Zusammengehen des "konservativen" Teils der Qualitätspresse liegt angesichts der Kooperation auf der "liberalen" Seite (Süddeutsche und Frankfurter Rundschau) in der Logik der Entwicklung.

Beiden potentiellen Kooperationspartnern, sowohl dem Hause Springer als auch der FAZ-Stiftung, geht es schlecht, aber während in dem großen Springer-Konzern noch Reserven und Umschichtungsmöglichkeiten erkennbar sind, fängt die FAZ sichtbar an, auf dem Zahnfleisch zu gehen. "Unser Geld reicht noch für 2003", erzählte ein prominenter FAZ-Pensionär im Rotary Club, "wenn bis Ende 2003 die Krise nicht überwunden ist, ist der Ofen aus."

So spart man in Frankfurt schon jetzt an allen Ecken und Enden. Jeder zehnte Mitarbeiter wird entlassen, Seitenumfänge werden reduziert, die Zeilenhonorare für freie Mitarbeiter werden halbiert. Das "Business Radio" in Frankfurt, München und Berlin (insgesamt über hundert Arbeitsplätze) wird dichtgemacht, die Buchverlage (DVA, Kösel, Menasse) werden verkauft (so sich dafür Interessenten finden), die Online-Aktivitäten werden drastisch eingeschränkt.

Dies alles sind jedoch nur Tropfen auf den heißen Stein, während die eigentlichen Brocken, vor allem die außerordentlich kostenintensive Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, nach wie vor mit großer Gewalt aufs Budget drücken. Bei Springer ist die FAS-Konkurrenz Welt am Sonntag kaum besser dran, so daß die meisten WamS-Ressorts bereits mit denen der Welt zusammengelegt wurden. Die Versuchung der Geschäftsstrategen sowohl bei der FAZ als auch bei Springer ist zweifellos groß, das Zusammenlegen noch weiter, auch über Hausgrenzen hinaus, zu intensivieren, denn die Krise ist mittlerweile erschreckend fortgeschritten. Es geht buchstäblich um die Existenz, so daß Entscheidungen ins Kalkül rücken, die man vor kurzem noch für schlicht unmöglich gehalten hätte.

Ob bei der FAZ auch das Herausgebergremium, gleichsam das Logo, das Strukturelement der Zeitung, zur Disposition steht, wird die Zukunft erweisen. Die Erklärungen des Sanierers Bernhardt klangen hier am wenigsten schwammig, das Gremium soll erhalten bleiben, die "Bestandsgarantie" (Wolfram Weimer) ist gegeben. Aber was gelten in diesen schweren Zeiten schon Bestandsgarantien? Nichts als leere Versprechungen.


 
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