© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
Schlaffe und Straffe
Kino: "Lantana" verliert sich im Dickicht der Menopause
Silke Lührmann

Australien, so weiß man aus den Hochglanzbroschüren seriöser Reiseveranstalter und vom Discovery-Kanal, ist ein Urlaubsland voller palmiger Strände und braungebrannter Surfgötter. Australien, das sind Buschfeuer, Schafscherer und prähistorische Kreaturen. Die Vorstadtneurotiker, die Ray Lawrence in "Lantana" porträtiert, mögen den Europäer zunächst irritieren; im letzten Herbst sahnte er fünf Preise bei den Independent Film Awards in Sydney und sieben Australian Film Awards ab.

Was wie eine antipodische Neuauflage von David Lynchs "Blue Velvet" mit einer Frauenleiche im suburbanen Dickicht ansetzt, begibt sich sogleich auf die ausgelatschten Irr- und Abwege der männlichen Menopause: vom Ehebruch im schäbigen Motelzimmer über die Salsastunden bis zum morgendlichen Jogging. Zu lange Jahre beruflicher und familiärer Routine haben Leons (Anthony La Paglia) Gesichtszüge erschlafft und seiner Ehe das Feuer geraubt. "Ich mag die Falten um meine Augen", gesteht Leons Frau Sonja (Kerry Armstrong) ihrer Psychiaterin Valerie (Barbara Hershey). "Ich weiß nicht, ob sie ihm auch gefallen, aber ich mag sie." "Ich kann nichts mehr fühlen", sagt der Kriminalpolizist selbst und läßt seinen Frust an Sydneys Kleinkriminellen aus.

Ein größeres Verbrechen, der Mord an ihrer elfjährigen Tochter, hat Valerie und John (Geoffrey Rush) zerstört. Während er Blumen in den Straßendreck legt, in dem ihre Leiche gefunden wurde, verarbeitet die Psychiaterin ihre Trauer zu einem Bestseller. Worauf können wir noch vertrauen, fragt sie. Auf Gott ? Auf die Familie? Auf die Liebe? Nein, nur auf das Vertrauen selbst.

Daß ein solcher Zirkelschluß schnurstracks ins Unglück führen muß, erfährt Valerie, als sie ihr Behandlungszimmer mit dem eigenen Leben verwechselt. Währenddessen droht sich Leons Seitensprung mit Jane (Rachael Blake) zur Affäre samt Risiken und Nebenwirkungen zu entfalten, wie man sie aus "Basic Instinct" oder "Eine verhängnisvolle Affäre" kennt. Auch Janes Freundschaft zu ihrer Nachbarin Donna und deren Mann nimmt immer unheimlichere Züge an, während Sonja sich mit einem Jüngling ver- oder doch nur begnügt. Der kann Salsa tanzen und stört sich nicht an ihren Falten, darf aber seiner Mutter keine Mädchen ins Haus bringen.

"Lantana" handelt von dem Raum des Privaten zwischen Mann und Frau, Patient und Psychiater; von der Diskrepanz zwischen dem, was sein sollte, und dem, was ist - als gäbe es eine höhere Instanz, die sich solcher Klagen annimmt und über die gebrochenen Versprechen des Lebens richtet. Die Welt muß nicht so sein, wie sie ist - das könnte tiefgründig oder wenigstens tragisch sein, wären all die kleinen Vertrauensbrüche nicht so lachhaft banal und vorhersehbar. Es wäre lachhaft - wären sie nicht so scharf an der Wirklichkeit entlanggeschnitten, daß man weinen möchte wie der Nachbar, den Leon beim Joggen umrennt. Schlimmer noch, trichtert der Salsalehrer seinen verklemmten Schülern ein: "Es geht um Sex, sonst gar nichts."

Ein Trick dieses Films ist so billig, daß man das Vertrauen des Regisseurs brechen und ihn verraten möchte: Das schattige Lantana-Gestrüpp, in dem die Tote zunächst gezeigt wird und in dem später Donnas Kinder spielen, hat wenig mit dem finsteren Wald gemein, in dem Leons Kollegen sie schließlich bergen.

Alle sind schuldig, aber niemand ist schuld. Am Ende belohnt "Lantana" nicht Treue, sondern Jugend. Für die jüngeren Paare schließt sich die Kluft zwischen der Welt, die ist, und der Welt, die sein sollte: Ihre straffe Haut kann Enttäuschungen verkraften - oder haben sie vor lauter Kleinkindern, Schichtarbeit und Geldsorgen einfach keine Zeit, sich vom Leben betrogen zu fühlen? Auch Leon und Sonja kommen glimpflich davon. Er lernt die Tränen seines Nachbarn nachzufühlen und Salsa so zu tanzen, wie es sein sollte.

Leons haltloses Schluchzen - die Trauer eines erwachsenen Mannes um die vergangene Zeit und die so gänzlich unverhoffte wie unverdiente Gnade, die ihm gewährt wird - hinterläßt eine noch tiefere Erschütterung als der kalkulierte Schockeffekt der Anfangsszene, auch wenn es den Älteren im Publikum nur zynisches Gelächter entlockt. Ein Film, der seine kritischen Ehrungen ebenfalls nicht ganz verdient hat, aber dennoch einen Kinobesuch wert ist.

Foto: Leon (Anthony La Paglia), Ehefrau Sonja (Kerry Armstrong)


 
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