© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/02 08. November 2002

 
"Charakter ist Schicksal"
Der große Wiener Schauspieler Oskar Werner wäre in der kommenden Woche achtzig Jahre alt geworden
Werner Olles

Dieser junge Wiener Schauspieler erschüttert seit Monaten das sonst so kühle und kritische Publikum der Goethestadt - reißt es zu unerhörten Beifallsstürmen hin. Er spielt den Hamlet. Vielmehr er spielt ihn nicht. Er ist Hamlet!" schrieb der Theaterkritiker Franz Theodor Csokor im März 1953. Ein Jahr zuvor hatte Lothar Müthel bei Oskar Werner angefragt, ob er bereit wäre, in Frankfurt den Hamlet zu spielen. Und Werner wußte sofort, daß dieser Hamlet, den er "aus tiefstem Respekt" bislang nicht gelernt und gelesen, sondern "scheu gemieden" hatte, daß dieser Hamlet "für mich geschrieben ist": "In Hamlet habe ich einen Zwillingsbruder gefunden. Müthel hat mir einmal gesagt, Gustav Gründgens habe sich am wohlsten in der Intrige gefühlt. Nun, ich in der Liebe. Die Rolle seines Lebens war für Gründgens auch der Mephisto. Die meinige ist der Hamlet." Drei Jahre später spielt er, wieder unter der Regie von Müthel, den Hamlet im Wiener Theater in der Josefstadt. Und wieder reagiert das Publikum mit einer fast hysterischen Verehrung. Nach jeder Aufführung kommt es am Bühneneingang zu unbeschreiblichen Jubelszenen.

Oskar Werner wurde als Oskar Josef Beschließmayer am 13. November 1922 in Wien geboren. Schon als Bub spielte er für sich allein im Hof Theater, während seine Mutter in einer Hutfabrik arbeitete. Beim Heurigen sang er den Gästen mit seiner eigenartig schönen Stimme und Sprachmelodie Wienerlieder vor. Mit elf Jahren wußte Oskar, daß er Schauspieler werden wollte. Früh begeisterten ihn die Werke von Shakespeare und Goethe, die er bis spät in die Nacht hinein las, um am nächsten Morgen den Deutschlehrer mit seinen Kenntnissen zu beeindrucken. Aber die letzten Schuljahre waren schon vom Krieg überschattet. Er mußte zum Arbeitsdienst, doch dann erreichte ihn ein Telegramm von Müthel, er möge am Burgtheater vorspielen. Und am 11. November 1941 hatte Oskar Werner als Giuliano Mocenigno in "Heroische Leidenschaften" den ersten Auftritt an seinem geliebten Burgtheater.

Aus Verehrung für sein großes Idol Werner Krauß nannt er sich nun Oskar Werner. 1955 hatte er auf der Bühne seinen Zenit erreicht. Bei der feierlichen Wiedereröffnung des im Krieg zerstörten Burgtheaters gab er den "Don Carlos". Aber Werner dachte nicht daran, sich auf seinen Theaterlorbeeren auszuruhen, obwohl seine Anhänger sich ebenso bei seinen Vorstellungen an den Spitzenbühnen des deutschen Sprachraums wie auch bei seinen Tourneen und Rezitationsabenden drängten, um sich von dem unverkennbaren Timbre seiner Stimme faszinieren zu lassen. Das nun aufkommende Regietheater lehnte er aus tiefster Überzeugung ab. Der Schauspieler und das Dichterwort galten ihm als oberste Instanz, sonst niemand. Max Reinhardts "Rede über den Schauspieler" war sein künstlerisches Credo: "Das Heil kann nur vom Schauspieler kommen, denn ihm und keinem anderen gehört das Theater."

Auch bei seinen Filmen legte Werner, der bei Regisseuren und Produzenten als "schwierig" und "unbestechlich" galt, andererseits mit seiner Weltferne einen gewissen Kult betrieb, strengste Maßstäbe an. Bereits 1939 hatte er eine winzige Rolle in dem Spionagefilm "Hotel Sacher" gespielt. In Karl Hartls "Der Engel mit der Posaune", der Geschichte einer Wiener Klavierbauerfamilie von der Monarchie bis in die Gegenwart, gab er an der Seite von Paula Wessely, Attila und Paul Hörbiger, Maria Schell und Curd Jürgens einen fanatischen Nationalsozialisten. Hollywood wurde jetzt auf ihn aufmerksam, Darryl F. Zanuck engagierte ihn für "Entscheidung im Morgengrauen" unter der Regie von Anatole Litvak. Der Film wurde nicht nur von der Kritik gefeiert, sondern auch ein großer Publikumserfolg. Als damals einziger Österreicher durfte Oskar Werner sich vor dem Chinesischen Theater am Hollywood Boulevard mit seinen Hand- und Fußabdrücken verewigen.

Zanucks Angebot eines Sieben-Jahres-Vertrages lehnte er jedoch ab. Vor den Augen des allmächtigen Studiobosses zerriß er das Papier, da er die ihm angebotenen Rollen als "Verrat am guten Geschmack" betrachtete. Nach seiner Rückkehr aus Hollywood spielte er 1955 in G.W. Pabsts "Der letzte Akt", der die letzten Tage Hitlers im Führerbunker behandelt. Noch im gleichen Jahr sah man ihn in der Titelrolle von Karl Hartls melodramatischem Film "Mozart" und als homosexuellen Freund Oberst Redls in Franz Antels "Spionage".

Anfang der sechziger Jahre begann Werners dritte Filmkarriere. Francois Truffaut holte ihn für "Jules und Jim" und Stanley Kramer für "Das Narrenschiff". Für diesen Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn wurde er nicht nur für den Oscar nominiert, sondern auch mit dem New York Film Critics-Award ausgezeichnet. In dem englischen Spionagethriller "Der Spion, der aus der Kälte kam" brillierte er in der Rolle des jüdischen Kommunisten Fiedler, der schließlich seinem Widersacher Mundt (Peter van Eyck), einem ehemaligen Nationalsozialisten, der es bis an die Spitze des SSD geschafft hat, unterliegt.

Die letzten Jahre Oskar Werners waren gekennzeichnet von Depressionen, Alkoholproblemen und nicht durchgeführten Theaterprojekten. Seine Deklamationen klassischer Werke machten jedoch nach wie vor Furore. Während der Vorbereitung für eine Lesetournee starb er am 23. Oktober 1984 in Marburg an Herzversagen.

Seine stete Suche nach innerer Wahrheit und eine kompromißlose Verfolgung des höchsten Berufsethos begleiteten ihn sein ganzes Leben. Mit seiner unverwechselbaren Stimme, aber auch mit seinem Pathos hat er sein Publikum, das ihn liebte und ihm bis zum letzten Akt die Treue hielt, bezaubert. Die Kapitulation vor seiner eigenen Außerordentlichkeit und die anschließende kräfteraubende und kostbare intensive Selbstaufgabe bezeichnete er mit den Worten "Charakter ist Schicksal". Sich selbst sah er - Rilke zitierend - "ausgesetzt auf den Bergen des Herzens."

Unter dem Titel "Welch einen sonderbaren Traum träumt' ich..." zeigt das Österreichische Theatermuseum in Wien, Lobkowitzplatz 2, bis zum 6. Januar 2003 eine Ausstellung zu Leben und Werk Oskar Werners.

Im Filmarchiv Austria ist bis zum 4. Dezember eine Retrospektive mit sämtlichen verfügbaren Kinofilmen des Schauspielers zu sehen. Weitere Informationen: 00 43 / 1 / 5 25 24 404.


 
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