© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Diplomatische Farce
Die vom UN-Sicherheitsrat verabschiedete Irak-Resolution bedeutet Krieg
Michael Wiesberg

Ganz gleich, ob Saddam Hussein die Irak-Resolution des UN-Sicherheitsrates akzeptiert oder nicht: das Renommee der Uno als einer Instanz, die sich weltweit für den Frieden einsetzt, hat in den letzten Tagen erheblichen Schaden genommen. Trotz der fadenscheinigen Argumente der USA, mit der diese einen Krieg gegen den Irak zu begründen suchen, haben sich die UN-Sicherheitsratsmitglieder Großbritannien, Frankreich, Rußland und China von den USA instrumentalisieren lassen. "Es hat eine echte Annäherung der Standpunkte gegeben", gab der britische Außenminister Straw vergangene Woche zufrieden zu Protokoll. Der russische Außenminister Iwanow ließ zwar wissen, daß Moskau gegen "gegen jede Formulierung" sei, "die es jemandem erlauben würde, einseitig automatisch Gewalt anzuwenden".

Wie diese Auskunft letztlich auszulegen ist, blieb US-Außenminister Powell überlassen. Falls der Irak die Resolution verletze, so unterstrich Powell, dann werde der Sicherheitsrat einberufen, um die Frage zu diskutieren. Powell ließ aber im Dunkeln, ob diese Diskussion zur Abstimmung über eine zweite Resolution führen wird, die eine Militäraktion zur Folge haben könnte. Er könne jetzt nicht sagen, wie lange der Sicherheitsrat für die Beratungen über einen solchen Bericht brauchen oder welche Maßnahmen dieser ergreifen werde, sagte Powell und ergänzte vielsagend: "Aber während ihre Uhr läuft, läuft auch eine Uhr auf amerikanischer Seite." Meint: Die USA kommen den Interessen ihrer "Freunde" zwar entgegen, ohne sich aber in irgendeiner Art und Weise binden zu wollen. Die Mitglieder des Sicherheitsrates sind jedenfalls gut beraten, nicht überrascht zu tun, wenn während ihres Palavers über etwaige Konsequenzen gegen einen unbotmäßigen Irak amerikanische Bomben und Raketen auf den Irak niederregnen.

Nur auf den ersten Blick erstaunlich ist die konziliante Haltung Rußlands. Dabei hätte Rußland aufgrund seiner traditionellen politischen und kommerziellen Beziehungen zu Bagdad und einer nur wenige hundert Kilometer vom Irak entfernten Grenze hinreichend Grund, sich gegen eine Militäraktion der USA gegen den Irak zu stellen. Genau dies ist aber unterblieben. Es drängt sich somit der Verdacht auf, daß hier ein "Deal" zwischen Rußland und den USA geschlossen worden sein könnte. Rußland läßt den USA im Hinblick auf den Irak freie Hand und bekommt dafür grünes Licht für seine "Neuordnung" des Kaukasus. Und noch ein Argument dürfte für die Russen von Bedeutung sein: Durch Zugeständnisse in Richtung USA versuchen sich die Russen wenigstens einen Teil des irakischen Erdölkuchens zu sichern, wenn die Amerikaner im Irak einen Militärgouverneur oder ein Marionettenregime ihrer Wahl installiert haben werden.

Wirklichkeitsfremd ist die Auffassung, daß die Rückkehr der Waffeninspekteure die USA von einem Krieg abhalten könnten. Vorwände für eine Invasion mittels gezielter Provokationen werden sich schon finden. Wie verbissen die USA an ihren Kriegsplänen festhalten, zeigt die Tatsache, daß während der laufenden Diskussion im UN-Sicherheitsrat US-Präsident Bush weiter davon schwadronierte, Saddam Hussein mit kriegerischen Mitteln in die Knie zwingen zu wollen. Das sind keineswegs leere Worte: Der Truppenaufmarsch der Amerikaner geht Tag für Tag weiter.

Während sich ein Großteil der Diskussion im Sicherheitsrat darum drehte, ob der US-Resolutionsentwurf einen "verborgenen Auslöser" für eine militärische Intervention der USA enthalte, wies der Chef der UN-Waffeninspektoren, Hans Blix, darauf hin, daß dieser Auslöser offensichtlich sei. Blix erklärte, daß der Irak unmöglich die 30tägige Frist für eine "vollständige und endgültige" Auflistung seiner gesamten zivilen chemischen und biologischen Anlagen einhalten könne.

Hier zeichnet sich bereits der casus belli ab: Sollte sich herausstellen, daß der Irak keine vollständige und genaue Beschreibung dieser Anlagen gegeben hat, würde er sich nach Interpretation der USA eines "erheblichen Bruchs" der Resolution schuldig machen und könnte angegriffen werden. Der abenteuerliche US-Vorschlag, irakische Wissenschaftler und ihre Familien für Befragungen außer Landes zu schaffen, stieß indes auch bei Blix auf Vorbehalte. Es sei völlig ausgeschlossen, daß der Irak - oder irgend eine andere Regierung dieser Welt - es zulasse, daß seine Bürger auf diese Weise zwangsweise entführt werden.

Inzwischen verdichten sich Hinweise darauf, daß die Pentagon-Planer den Januar oder Anfang Februar nächsten Jahres als das günstigste Zeitfenster für eine Militäraktion definiert haben. Dies dürfte auch den Sicherheitsratsmitgliedern nicht entgangen sein. Entgegen allen öffentlichen Bekundungen wissen diese, was die Stunde geschlagen hat. So kolportierte Jacques Amalric von der französischen Tageszeitung Libération, daß sich die französischen Diplomaten aus der engeren Umgebung der Verhandlungsführung keine Illusionen machten. In ihren Augen sei völlig klar, daß der Irak die äußerst weitgehenden Verpflichtungen aus der Resolution niemals erfüllen könne. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis der kalte Krieg der USA gegen den Irak in einen heißen Krieg umgewandelt wird.


 
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