© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Rot-grüne Schnellschüsse
Arbeitsmarkt: Die Krise der Informations- und Telekommunikations-Branche widerlegt die "Green Card"-Propagandisten
Dirk Fischer

Mit großem Getöse propagiert die Bundesregierung zur Zeit das Hartz-Konzept als arbeits-marktpolitisches Allheilmittel. Aber fast alle Wirtschaftsexperten verweisen darauf, daß die grundlegenden Probleme des Arbeitsmarktes dadurch nicht gelöst werden. Da Rot-Grün keine Konzepte hat, hofft man eben auf die Vergeßlichkeit des Wählers und greift zu PR-Gags.

Als solcher entpuppt sich gerade die "Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für hochqualifizierte ausländische Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie" aus dem Jahr 2000. Kanzler Schröder ließ sich kurz vor dem Platzen der "new economy"-Blase von den Lobbyisten der Informationstechnik- und Telekommunikationstechnik-Branche (IT/TK) einreden, in diesem Bereich seien hundertausende Arbeitsstellen unbesetzt. Die "Green Card" mußte her - und der Begriff Einwanderung war endlich positiv besetzt.

Diese Regelung sollte durch vorübergehende Zulassung von ausländischen Spezialisten den akuten Mangel an IT-Fachkräften beseitigen und damit gleichzeitig Arbeitsplätze im Bereich der Informationstechnologie schaffen. Die Branchenverbände gingen damals von 100.000 fehlenden Fachleuten aus, die Bundesregierung strebte 20.000 "Green Cards" an. Tatsächlich sind nach Angaben der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) bis jetzt weniger als 13.000 vergeben worden. Es wird deutlich, daß die gefeierte "Green Card" lediglich ein arbeitsmarktpolitischer Schnellschuß der Bundesregierung war, die sich vom Aufschwung der IT-Branche blenden ließ. Stiegen die Beschäftigtenzahlen hier in 2000 gegenüber dem Vorjahr noch um 17 Prozent, so gingen sie in diesem Jahr um drei Prozent zurück.

Das macht auch nicht vor den "Computerindern" halt: Beim "IT-Sonderteam" der ZAV melden sich immer mehr ausländische Computerexperten auf der Suche nach einer neuen Stelle. Wie viele von den knapp 13.000 Eingereisten tatsächlich arbeitslos sind oder das Land wieder verlassen haben, weiß man aber auch hier nicht. Viele haben aufgrund der kurzen Beschäftigungsdauer kein Anrecht auf Arbeitslosengeld und tauchen deshalb in der Statistik gar nicht auf. Im für ausländische IT-Spezialisten einschlägigen Internet-Forum "Trust 7" wird die Rubrik "Arbeitslos in Deutschland" am häufigsten besucht. Auch der Kanzler weiß natürlich, daß so keine Arbeitsplätze für Deutsche geschaffen werden. Im Gegenteil, jetzt verabschiedet sich auch die Telekommunikationsbranche als Hoffnungsträger.

Die Deutsche Telekom, letztlich auch ein Staatsunternehmen, hat bei schwindender Börsenkapitalisierung mindestens 64 Milliarden Euro Schulden und will britischen Zeitungsberichten zufolge die Investitionen im nächsten Jahr um bis zu drei Milliarden Euro reduzieren. Der Abbau von 20.000 Arbeitsplätzen allein in Deutschland ist bereits beschlossene Sache. Laut einem Bericht des Handelsblatt vom vergangenen Montag sei im laufenden Jahr vor allem aufgrund immenser Abschreibungen mit einem Rekordverlust in Höhe von bis zu 28 Milliarden Euro zu rechnen.

In den ersten neun Monaten sei bereits ein Verlust von fünf Milliarden Euro angefallen. Der erwartete Verlust für das Gesamtjahr setze sich aus Sonderabschreibungen von 20 Milliarden Euro auf den Wert von Tochtergesellschaften und UMTS-Mobilfunklizenzen zusammen sowie acht Milliarden Euro Verlust aus dem operativen Geschäft. Die Telekom würde damit den höchsten Verlust verzeichnen, den je ein im Deutschen Aktienindex (Dax) geführtes Unternehmen ausgewiesen hatte.

Die Ursachen für diese Krise liegen auf der Hand: Die Telekom hatte zu Zeiten des Börsenaufschwungs die US-Mobilfunkgesellschaft Voicestream absolut überteuert gekauft. Der Mobilfunkmarkt in den USA ist zudem nicht in dem Maße wie der europäische erschlossen. Hohe Investitionen in den Netzausbau und das Marketing sind erforderlich.

Nach der Worldcom-Pleite ist für derartige Investitionen aber kaum noch Kapital zu bekommen. Hinzu kommen noch die 15,3 Milliarden US-Dollar für den Erwerb der UMTS-Lizenzen in Deutschland. Ob diese sich jemals rentieren, steht in den Sternen. Dem einstigen Börsenliebling Mobilcom haben sie jedenfalls das Genick gebrochen.

Wegen des Konsolidierungsbedarfs ist es für die Telekom auch kein Tabu mehr, Voicestream zu verkaufen oder in ein Gemeinschaftsunternehmen einzubringen. Damit würde sich das deutsche TK-Flaggschiff von seiner globalen Strategie verabschieden, um damit gerade einem globalen Trend zu folgen. In Europa und den USA besinnen sich die Telefongesellschaften zunehmend auf ihre regionalen Bastionen. Hier haben sie Monopole und wenig Wettbewerb zu fürchten. So basierten die internationalen Eskapaden der Telekom, die Investitionen in angeblich zukunftsträchtige Technologien letztlich auf den Monopolgewinnen im Inland.

Diese Situation beklagt auch der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), in dem die deutschen Konkurrenten der Telekom zusammengeschlossen sind. Diese habe mit 96,4 Prozent im Ortsnetz und 96,8 Prozent bei den schnellen DSL-Internetanschlüssen ein Quasi-Monopol. Diese Wettbewerbsbehinderung sei die Hauptursache für die zu erwartende schwache Marktentwicklung. Nach der Analyse des VATM wird der deutsche Telekommunikationsmarkt insgesamt in diesem Jahr nur um fünf Prozent wachsen, gegenüber 14 Prozent im Vorjahr. Auch bei den alternativen Anbietern werde die Zahl der Mitarbeiter um 4,7 Prozent schrumpfen, was sich dann zum Stellenabbau der Telekom addiert.

Im Jahre 2005 endet die Frist für die seit 2000 ausgegebenen "Green Cards". Nennenswerte Effekte auf den Arbeitsmarkt sind nicht zu erwarten, außer daß sich vielleicht einige mittlerweile Ansprüche auf Arbeitslosengeld erworben haben. Für die Zeit der Anspruchsdauer gilt auch die Aufenthaltsgenehmigung. Im Jahre 2006 ist wieder Bundestagswahl. Wer wird dann noch von der "Green Card" sprechen? Das war schon im letzten Wahlkampf nicht der Fall, als der Flop schon bekannt war. Die erste "Green Card" hängt übrigens im Bonner Haus der Geschichte. Wann hängt das Hartz-Papier daneben?


 
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