© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Frische Blumen am Grab
Totengedenken: Seit zehn Jahren kümmert sich ein Förderverein um den Invalidenfriedhof
Werner H. Krause

Der Herbstwind wirbelt das Laub auf dem Berliner Invalidenfriedhof in der Scharnhorststraße umher und gruppiert es malerisch um die Grabstätten. Jede einzelne bedeutet einen Exkurs in preußischer Geschichte. Die Wolken hängen tief, nur manchmal gleitet ein Sonnenstreifen wie liebkosend über die Gräber. Der November beherrscht die Szene.

Die 1748 entstandene Begräbnisstätte ist heute nur noch ein Torso, mißt man sie an ihrer Vergangenheit. Von den einstmals 3.000 Gräbern sind lediglich noch 230 vorhanden. Die anderen wurden ein Opfer des SED-Vandalismus, der sich hier mit der Errichtung der Mauer im August 1961 austobte. Da wurden Grabstellen mit Bulldozern planiert, Gedenksteine, die längst zu einem Bestandteil der deutschen Kulturgeschichte geworden waren, brutal mit der Spitzhacke zerstört. Mehrere Grabfelder wurden gänzlich umgepflügt, Wachtürme und eine Laufanlage für eine kläffende Hundemeute errichtet. Was galt da noch die Ruhe der Toten, da sich das SED-Regime anschickte, die Lebenden mit dem Tod zu bedrohen, sofern sie gewillt waren, den Friedhof als Fluchtpunkt in den Westteil der Stadt zu benutzen.

Auf dem Invalidenfriedhof wurde zu jener Zeit weit mehr vernichtet, als es die sogenannte Grenzsicherung erforderlich gemacht hätte. Jetzt bot sich für Ulbricht die Gelegenheit, diesem "Hort des deutschen Imperialismus", wie er den Invalidenfriedhof in einer Rede vor Parteiarbeitern bezeichnet hatte, den Garaus zu machen. Lediglich die Gräber der preußischen Reformer sollten von dem Kahlschlag verschont bleiben. Doch wie es für den SED-Staat oftmals typisch war, Planlosigkeit obsiegte über Planung. Hierauf ist es zurückzuführen, daß ein Teil der Grabanlagen den roten Exodus überstand.

Die Entstehung des Invalidenfriedhofs spiegelt ein Stück preußischer Geschichte wider. Im Jahre 1747 erließ Friedrich der Große den Befehl, für die "lahmen Kriegsleut" ein Invalidenhaus zu errichten, wo sie umgeben von jeglicher Fürsorge ihren Lebensabend verbringen sollten. Am 15. November 1748 erweiterte der König seine Kabinettsorder und verfügte, daß auch ein Kirchen- und Beerdigungsplatz dem Invalidenhaus hinzugefügt werden sollte. Am 20. Dezember 1748 fand dann hier als erste Beisetzung die des Unteroffiziers Hans Michael Neumann aus Bamberg statt.

Das Invalidenhaus bestand bis zur Auflösung des preußischen Heeres im Jahre 1918 als eine seiner militärischen Dienststellen. Anfänglich war der Friedhof nicht ausschließlich für Garnisonsangehörige gedacht, sondern hier wurden auch Wissenschaftler, Künstler und einfache Bürger bestattet. Den Charakter eines rein preußischen Soldatenfriedhofs nach Vorbild des Pariser Invalidendoms oder der Londoner St.-Pauls-Kathedrale erhielt er im Jahre 1824 durch eine neue preußische Weisung. Sie wurde prägend für seine Geschichte bis zum Jahre 1945.

Heute ist es um den Invalidenfriedhof nicht allzugut bestellt. Was auf ihm in den vergangenen Jahren instand gesetzt wurde, verdankt dies einer Fördergemeinschaft, die sich vor genau zehn Jahren, im November 1992, zusammengeschlossen hat. Spuren ihres Wirkens finden sich an so mancher Grabplatte, die zwar stark verwittert sein mag, doch inzwischen wieder eine erkennbare Inschrift trägt.

So stellt das von Christian Daniel Rauch nach einem Entwurf von Schinkel geschaffene Löwenmonument, mit welchem er der Grabstätte des 1813 einer Verwundung erlegenen Generalleutnants Gerhard von Scharnhorst ein besonderes Gepräge gab, heute wieder ein Wahrzeichen des Friedhofes dar. Hierher zieht es nicht zuletzt viele junge Menschen, die ihren Wunsch erkennen lassen, sich den großen Gestalten der deutschen Geschichte nahe zu wissen.

Die 1834 geschaffene Grabstelle für Scharnhorst ist in Form eines Hochsarkophags angelegt. Auch die Grabstellen der preußischen Generalstabschefs Helmuth von Moltke (1848-1916) und Alfred Graf von Schlieffen (1833-1913) weisen eine würdevolle Gestaltung auf. Beigesetzt ist auf dem Invalidenfriedhof auch der Mitbegründer der deutschen Turnbewegung, Karl-Friedrich Friesen (1784-1814).

Viele Grabplatten liegen heute wie in einer Ödnis eingesprenkelt dar; wer sich dennoch der Mühe unterzieht, sie alle in Augenschein zu nehmen, sieht sich gewissermaßen in die einzelnen Epochen preußischer Geschichte versetzt. Generalfeldmarschall von Boyen, Schöpfer der während des Befreiungskrieges vom napoleonischen Joch gebildeten Landwehr, hat seine letzte Ruhestätte in unmittelbarer Nähe seines Freundes Scharnhorst gefunden. Auch der York und Blücher in der Zeit der Befreiungskriege als Adjutant dienende General Hiller von Gärtringen ist auf dem Invalidenfriedhof beigesetzt.

Vereint im Tod, obwohl im Leben durch gegensätzliche Auffassungen getrennte Bahnen einschlagend, dies läßt sich zu manchen Grabstellen des Zweiten Weltkrieges sagen. So ruht beispielsweise der bei dem Attentat in der Wolfsschanze umgekommene persönliche Adjutant Hitlers, Rudolf Schmundt, unweit jener Stelle, wo der Hitler-Gegner Oberst Wilhelm Staehle beigesetzt ist.

Zeitweilig waren gleich drei Fliegerasse auf dem Invalidenfriedhof zur letzten Ruhe gebettet. Unter schattigen Bäumen befand sich das Grab des "roten Barons", Manfred von Richthofen. Als die Familie davon erfuhr, daß die DDR gewillt war, es der Vernichtung preiszugeben, setzte sie eine Überführung der sterblichen Überreste nach Wiesbaden durch.

Ernst Udet und Werner Mölders haben sich sozusagen in Reih und Glied vereint. Das Grab von Mölders war ebenfalls von den Kommunisten verschandelt worden, bis auf einen Teil der Grabplatte, welcher der Zerstörungswut entging. Heute ziert eine neue Platte das Grab des am 22. November 1941 bei Breslau abgestürzten Jagdfliegers, jemand hat einen frischen Heidestrauß darauf niedergelegt.


 
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