© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/02 15. November 2002

 
Späte Würdigung
Eine neue Gedenktafel in Berlin-Friedenau erinnert an den Schriftsteller Uwe Johnson
Thorsten Hinz

Berlin-Friedenau, Niedstraße, die "kleine Straße mit den alten Landhäusern, den bürgerlichen Mietbauten, den fülligen Bäumen", wie in Uwe Johnsons "Jahrestagen" zu lesen ist. Seit dem 30. Oktober ist am Haus Nummer 14 eine Tafel angebracht, die an den einstigen Bewohner, den "Schriftsteller im geteilten Deutschland", erinnert. Enthüllt wurde sie von Günter Grass, der nebenan, in dem backsteinernen, ländlich anmutenden Haus Nummer 13, gewohnt hat. Das Haus gehört Grass immer noch, zwei seiner Söhne leben dort.

Johnson wohnte in der Niedstraße von 1959 bis 1968. Die Wohnung - zwei Zimmer, Korridor und Küche - war eine Mansarde, welche ihr Licht - abgesehen vom kleinen Balkon zur Straßenseite - ausschließlich durch Oberlicht erhielt. Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld hatte sie ihm beschafft, rechtzeitig, bevor er im Sommer 1959 die DDR verließ. Auf die gefährliche Situation, die für unliebsame Personen wie ihn noch in West-Berlin bestand, verweist ein Brief, den Unseld ihm damals schrieb: "Anbei schicke ich Ihnen einen Ausschnitt aus der FAZ vom vergangenen Mittwoch: 'Geflüchteter Schriftsteller zurückgeholt'. Diesen Text lesend, machte ich mir doch Sorgen. Ich habe hier nochmals Anweisung gegeben, daß niemand Ihre Adresse erfährt." In der Tat war Johnsons Berliner Adresse zunächst nur nur wenigen bekannt.

Außer Grass zogen später auch Hans-Magnus Enzensberger und Max Frisch nach Friedenau. 1962, nach Heirat und Geburt seiner Tochter, mietete sich Johnson eine weitere Wohnung in der nahegelegenen Stierstraße. Die Mansarde in der Niedstraße aber blieb sein Arbeitsdomizil. Hier entstanden unter anderem "Das dritte Buch über Achim", eine Reihe Aufsätze und die Bachmann-Hommage "Eine Reise nach Klagenfurt".

1967/68, Johnson befand sich für längere Zeit in den USA, verursachte die Wohnung ihm beträchtlichen Ärger. Vermittelt durch Hans-Magnus Enzensberger, hatte er sie an dessen Bruder Ulrich vermietet. Ulrich Enzensberger gehörte in der studentenbewegten Zeit der "Kommune I" an. So kam es, daß in Johnsons vier Wänden das legendäre "Pudding-Attentat" auf den amerikanischen Vizepräsidenten Hubert Humphrey ausgeheckt wurde. Durch die Presse gingen danach wilde Gerüchte, die auch den Hauptmieter in Übersee erreichten. Das Telegramm, das er am 6. April 1967 erhielt: "Sprengbombengeschichte Erfindung der Polizei. Nur Rauchbomben gefertigt. Soweit alles ok. Mahler, Rechtsanwalt", beruhigte ihn nur wenig. Bald darauf löste er die Wohnung auf.

Die Tafel sollte schon vor Jahren hier angebracht werden, doch die Haubesitzerinnen hatten die Genehmigung verweigert. Angeblich aus Ärger über einen Grass-Sohn, der vor Jahren ihren Nußbaum geplündert hatte. Eine Gedenktafel, die 1994 an die Laterne vor dem Haus montiert wurde, verschwand nach kurzer Zeit. Johnson hatte einen prominenten Vormieter, den Grafiker und Maler Karl Schmidt-Rottluf, der von 1911 bis 1933 in der Dachwohnung gearbeitet hatte. Auch an Schmidt-Rottluff, den "Expressionistischen Maler und Mitbegründer der Künstlergruppe Brücke", erinnert jetzt eine Tafel.


 
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