© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
Willkür mit Alibi
von Peter Lattas

Nur hartgesottene Idealisten wollen immer noch glauben, daß die Rückkehr der Waffeninspektoren in den Irak den Showdown am persischen Golf ernsthaft verhindern könnte. Der frühere Nato-Oberbefehlshaber für Europa, Wesley Clark, sagt den US-Angriff auf den Diktator von Bagdad für Ende Januar voraus. Die Sicherheitsrats-Resolution 1441 wird unter diesen Auspizien kaum mehr sein als ein dürftiges völkerrechtliches Alibi, das der als unvermeidbar erkannten Willküraktion der Bush-Regierung in letzter Sekunde umgehängt wird. Der Zeitplan ist ohnedies perfekt auf den amerikanischen Wunschtermin für einen Wüstenfeldzug spätestens im März abgestimmt. Noch vor Ankunft der ersten Inspektoren gaben London und Washington eine Kostprobe ihrer Interpretationskunst. Nach Routineangriffen auf Ziele in den "Flugverbotszonen" im Nord- und Südirak hieß es, das Feuer der irakischen Luftabwehr verstoße bereits gegen die Resolution. Diese verbiete nämlich "feindliche Akte" gegen Mächte, die für die "Einhaltung von Sicherheitsratsbeschlüssen" sorgen - obwohl es einen solchen für die Flugverbotszonen gar nicht gibt. Klare Botschaft: Ein Vorwand für den Marschbefehl wird sich jederzeit finden.

Verlierer wird dabei in jedem Fall auch Deutschland sein, dessen Mitmach-Verweigerung zu spät und undurchdacht kam, um den Gang der Dinge im eigenen Interesse zu beeinflussen. Als Preis für den Schröderschen Verbalradikalismus winkt ein Super-Afghanistan: Blechen für Besetzung und Wiederaufbau, ohne etwas daran zu verdienen.


 
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