© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
"Kommandoausgabe in Brüssel"
Interview: Ex-FPÖ-Chef Jörg Haider über den rot-schwarzen Proporz und ein drohendes Mehrheitswahlrecht
Andreas Mölzer

Herr Dr. Haider, erstmals seit 16 Jahren findet eine Nationalratswahl statt, bei der Sie nicht FPÖ-Spitzenkandidat sind. Es gab einen Wahlkampf, der nun an Dramatik gewinnt, weil er möglicherweise eine völlige Veränderung der politischen Landschaft nach sich ziehen könnte. Wohin geht Österreich nach dem 24. November?

Haider: Das hängt davon ab, ob es den Kräften der Systemverteidiger gelungen ist, die FPÖ so zu schwächen, daß es wieder zu einer Neuauflage einer rot-schwarzen Koalition kommt. Denn ich gehe davon aus, daß diese viel gefährlicher ist als Rot-Grün. Diese Neuauflage der rot-schwarzen Koalition auf Bundesebene bedeutet nicht nur eine Rückkehr zum verfilzten Machtsystem, wie wir es jahrzehntelang in Österreich hatten und wie es von den Freiheitlichen aufgebrochen wurde, sondern bedeutet auch eine Machtkonzentration, mit der eine gravierende Veränderung des Wahlrechtes in Richtung eines Mehrheitswahlrechtes verbunden sein wird, damit in Zukunft der Aufstieg einer Partei, wie er von der FPÖ von Mitte der achtziger Jahre bis Ende der neunziger Jahre vollzogen wurde, nicht mehr möglich sein wird.

Eine große Koalition würde die Rückkehr des schwarz-roten Proporzes bedeuten?

Haider: Wir haben es ja während der Regierungszeit von Schwarz- Blau gesehen, daß dieses System sehr lebendig ist. Am Beispiel des Falles Reinhart Gaugg (Chef der Freiheitlichen Arbeitnehmer) in der Sozialversicherung muß ja jedem deutlich geworden sein, der das System einigermaßen kennt, daß es nicht einmal einer Regierung möglich war, einen freiheitlichen Spitzenmandatar unter 29.000 Bediensteten des rot-schwarzen Sozialversicherungssystems durchzusetzen. Daran kann man ersehen, wie festgefügt diese Koalition der Systemparteien ist, und was uns erwartet, wenn auch auf parlamentarischer Ebene wieder eine gemeinsame Mehrheit existiert, die dann auch das Wahlrecht so ändern wird, daß von einer grünenBewegung oder von einer freiheitlichen Bewegung in Wirklichkeit nichts mehr überbleibt. Wir haben dann englische Zustände. Da gibt es einmal die Sozialisten an der Macht und einmal die Konservativen, aber alles andere dazwischen findet nicht mehr statt.

Haben drei Jahre freiheitlicher Mitregierung daran qualitativ nichts geändert?

Haider: Sie haben wenig geändert. Es waren zarte Versuche vorhanden, aber im wesentlichen hat man es nicht geschafft, das System zu demokratisieren und eine vernünftige Öffnung in Richtung normale Demokratie zu ermöglichen. Man braucht nur den ganzen Bereich der Sozialversicherung zu betrachten und das festgefügte Kammern- und Verbändesystem anzuschauen, die sich wieder gefunden haben, und ein neuer Frühling und das Miteinander von Rot-Schwarz in diesen Institutionen sind bestimmt. Und ich nehme auch an, daß wieder eine Zeit kommen wird, in der absolute Mehrheiten möglich sind. Und bei absoluten Mehrheiten bleibt dann für die politische Konkurrenz wenig über.

Die einstige SPÖ-ÖVP-Koalition war mit Proporz und Vetternwirtschaft verbunden - ein Hauptgrund, warum die FPÖ so einen Zulauf unter Ihrer Führung hatte. Nun kursieren Gerüchte, daß auch die Wenderegierung, die jetzt ausläuft, nicht frei von diesen Versuchungen war. Hat der Bürger den Teufel nur gegen den Beelzebub eingetauscht?

Haider: Das kann ich so aus der Entfernung nicht beurteilen. Mein Eindruck ist eher, daß die FPÖ, die ja im politischen System der Zweiten Republik über Jahrzehnte keine wirkliche Verankerung hatte, auch nicht über ausreichend Personen und Persönlichkeiten verfügt hat, um überhaupt in Versuchung zu gelangen, eine politische Besetzungspraxis durchzuführen. Andererseits hat aber die ÖVP genau dieses Vakuum ausgenützt, und die ÖVP, die 1999 als schwächste Partei unter den drei Großparteien hervorgegangen ist, hat wahrscheinlich zum heutigen Zeitpunkt so viel Macht und Führungsfunktionen inne wie nie zuvor. Von der Spitze des Staates mit dem Bundespräsidenten, der zwar kein Freund des Bundeskanzlers ist, bis hinunter in die Kammern und Verbände und zu der Mehrheit unter den Bundesländern, ist alles von ÖVP-Funktionären beherrscht.

Halten Sie eine Fortsetzung der ÖVP-FPÖ-Koalition noch für sinnvoll?

Haider: Das würde durchaus Sinn machen, wenn man sich auf konkrete Schritte der Reform des politischen Systems einigen könnte. Denn ich glaube, das muß und müßte auch in einem Regierungsprogramm im Detail bereits festgelegt sein. Weil bei der jetzt zu Ende gegangenen Koalition in Wirklichkeit die Frage bei der Objektivierung der Personal- und Postenvergabe, im Schuldienst angefangen bis hinein in die öffentliche Verwaltung, nicht wirklich ausdiskutiert war, und Scheinobjektivierungen die Dinge nicht besser gemacht haben, als in der Vergangenheit. Das gleiche gilt auch für den Schnitt am System, etwa mit dem Aufbrechen der sogenannten Selbstverwaltung, wo ich persönlich der Meinung bin, daß diese Selbstverwaltung nicht mehr zeitgemäß ist, weil sie eine Selbstvermarktung von Rot und Schwarz ist, aber sie hat mit einer wirklichen Mitwirkung, Mitbestimmung der Bürger in gesundheitspolitischen und sozialpolitischen Fragen nichts mehr zutun. Das heißt, daß ist ein Scheinsystem, wo unter scheindemokratischen und scheinbar partizipatorischen Elementen nackte Machtpolitik gemacht wird. Und die auch die Schwierigkeit darstellt oder das, was auch das Hindernis darstellt, um wirklich in der Republik eine normale Demokratie einzuführen.

Glauben Sie, daß FPÖ-Spitzenkandidat Herbert Haupt als Chef eines wirklich kleineren Koalitionspartners die Kraft hätte, solche Vorstellungen umzusetzen?

Haider: Ihm traue ich es am ehesten zu, weil er 30 Jahre lang am eigenen Leib als strammer und geradliniger freiheitlicher Funktionär auf verschiedenen politischen Ebenen, von der Gemeindeebene bis hinauf in die Bundesregierung, selbst verspürt und erlebt hat, wie brutal dieses rot-schwarze System wirkt. Und er daher auch kenntnisreich genug ist, um die Gefahren zu sehen. Entscheidend wird sein, ob die FPÖ überhaupt eine Stärke hat, die es ermöglicht, Reformperspektiven dieser Art ins Auge zu fassen oder mit einem willfährigen Koalitionspartner zu vereinbaren. Denn natürlich wird mit dem Machtzuwachs auch bei der ÖVP die Lust steigen, sich den Staat ganz unter den Nagel zu reißen - und wenn die Sozialisten die Chance bekommen, wieder dabei zu sein, werden (SPÖ-Chef) Alfred Gusenbauer und die Seinen sehr rasch vergessen und versuchen, die vergangenen zweieinhalb Jahre, die für sie verlorene Jahre waren, nachzuholen - auch was die Frage der Posten und Funktionen in diesem Staatsgefüge betrifft.

Wäre für Sie eine Koalition mit einem von der ÖVP nominierten Finanzminister Karl-Heinz Grasser denkbar?

Haider: Ich glaube, daß Grasser in Wirklichkeit ein Mann für alle Jahreszeiten ist. Das heißt, er hat eine gewisse ideologische Beliebigkeit und dient in erster Linie sich selbst, und erst dann, in zweiter Linie, der Republik. So gesehen wird weder ein Sozialist noch ein ÖVPler mit ihm je Probleme haben. Wichtig ist nur, daß er weiterhin die Funktion als Finanzminister behalten kann.

Ein Wort zu Rot-Grün: Sollte Österreich auf diese Variante einer Regierung angewiesen sein, wie sehen Sie denn dann die unmittelbare Zukunft der Republik?

Haider: Ich sehe darin kein Problem, weil ich glaube, daß das unrealistisch ist. Denn die Kräfte auch in der sozialistischen Partei sind darauf angelegt, eine neuerliche große Koalition zustande zu bringen, weil das immerhin noch der bequemere Weg zum Regieren ist. Man teilt sich das Land auf, man hat die Menschen wieder unter Kontrolle. Von den Lehrern bis zu den Beamten, von den Sozialversicherungsmitarbeitern bis zum Krankenpersonal.

Wie sieht es mit dem im vergangenen Sommer breit diskutierten Projekt einer Kooperation der rechtsdemokratischen Kräfte in Europa aus?

Haider: Ich glaube, daß der Niedergang der Regierungsbeteiligung der FPÖ unter sonderbaren Umständen und unter Aspekten des Verrats aus den eigenen Reihen etwas damit zu tun hat oder mit der Kommandoausgabe in Brüssel, alle sogenannten rechtsdemokratischen Bewegungen möglichst schnell aus der Verantwortung hinauszudrängen. Die gleiche Situation gab es in Holland, wo man auch unter abenteuerlichen Umständen die Koalition von Brüssel aus torpediert hat, um die rechtsdemokratische Bewegung von Pim Fortuyn wieder aus der Regierung hinauszubringen. Und es werden sich nur jene halten können, die sich sehr stark an das geltende System anpassen und nicht mehr sonderlich auffallen. Das gilt auch für Italien, wo der Anpassungsprozeß der Lega Nord und Alleanza Nazionale an das System vorangehen wird, weil wahrscheinlich auch von seiten der Brüsseler Zentrale und der dortigen Machtzentren mit sehr viel Geld und sehr viel politischer Überzeugungsarbeit der Versuch gemacht wird, diese politischen Bewegungen der rechten Mitte ein für alle Mal zu erledigen.

Werden Sie jenen Gruppierungen, die davon ausgegangen sind, daß Sie ein Motor dieser Kooperation der Rechtsparteien sein werden, weiter zur Verfügung stehen?

Haider: Das Entscheidende ist immer, daß in den Köpfen der Bürger auch die Überzeugung reift, daß wir demokratische Breite brauchen und nicht eine Verengung in einem scheindemokratischen System. Davon wird es also auch abhängen, was man auf der gesamteuropäischen Ebene zustande bringen kann oder nicht. Wenn die Bürger Europas tatsächlich ein Europa der Bürger haben wollen, dann müssen sie das auch zum Ausdruck bringen, wenn nicht, dann dürfen sie sich auch über die autoritären Strukturen einer Beherrschung durch eine Politikerkaste von mehr oder weniger mittelklassigen Politikern nicht beschweren.

 

Dr. Jörg Haider, (52), Jurist, 1986 bis 2000 Bundesparteiobmann der FPÖ. 1983 bis 1986 Mitglied der Landesregierung, 1989/91 sowie seit 1999 Landeshauptmann von Kärnten.

 

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