© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
Alltägliches Aussterben
Artenschutz I: Unentbehrliche Rolle der Mikroorganismen
Franz Alt

Auf natürliche Art und Weise sterben pro Jahr drei bis 25 Arten aus. Da aber jährlich etwa 50.000 Arten ausgerottet werden, ist offensichtlich, was wir Menschen derzeit treiben. Homo sapiens greift entweder durch seine Bau- und Landwirtschaftspolitik direkt in die Natur ein oder er zerstört indirekt über den Treibhauseffekt und die Überdüngung von Böden und Wässern die Lebensgrundlagen von Tieren und Pflanzen und damit auch seine eigenen Lebensgrundlagen. Indem wir Menschen täglich bis zu 150 Tier- und Pflanzenarten ausrotten, sägen wir an unserem eigenen Ast, auf dem wir sitzen, denn ohne Tiere und Pflanzen kann es auch Menschen nicht geben.

Vom 3. bis 15. November fand in Santiago de Chile die 12. Konferenz des Washingtoner Artenschutzabkommens statt. Dabei haben natürlich Wale und Leoparden, Robben und Menschenaffen eine starke Lobby - nicht aber die Hauptbetroffenen, Insekten und Pflanzen. Öko-Optimisten pflegen die 150 Arten, die zur Zeit täglich verschwinden, mit dem "Argument" zu widerlegen, daß das Gros der verschwindenden Arten "ja so klein" sei. Für das Überleben des homo sapiens auf diesem Planeten ist jedoch nicht die Größe von Tier und Pflanzen entscheidend, sondern die Vielfalt des Lebens. Pflanzen und Insekten sind als Lebensgrundlage des Menschen bedeutender als Wale oder Robben. Zwischen 55 Millionen Arten soll es geben - aber längst nicht alle am Meeresgrund und in den Urwäldern sind entdeckt. Viele Arten rotten wir aus bevor wir sie je entdeckt haben.

Auf der roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten drängen sich momentan überwiegend größere Tiere. Genau sind es 11.167 Arten, darunter das Kamel der Anden, die Saiga-Antilope aus Zentralasien und der spanische Luchs. Das Artensterben, so vermuten die Wissenschaftler in Santiago de Chile, ist inzwischen so dramatisch wie vor 65 Millionen Jahren beim letzten großen Aussterben zur Zeit der Dinosaurier. Der natürliche Prozeß des Artensterbens ist durch menschliches Verhalten um das "Tausend- bis Zehntausendfache beschleunigt", vermutet Klaus Töpfer, der oberste Umweltschützer der Welt im Dienst der Vereinten Nationen. Und der Biologie-Professor Paul Ehrlich fügt hinzu: "Der wichtigste anthropozentrische Grund für die Bewahrung der biologischen Vielfalt ist die unentbehrliche Rolle, die Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere in Ökosystemen spielen." Wenn wir also die Bewahrung der Schöpfung ernster nehmen, pflegen wir gar nichts anderes als einen intelligenten Egoismus.

Die Biologen und Paläontologen wissen, daß wir in der überschaubaren Erdgeschichte sechs große Epochen des Artensterbens hinter uns haben. Meist waren äußere Einflüsse die Ursachen wie zum Beispiel ein kosmischer Einschlag beim großen Dinosauriersterben.

Heute aber ist das siebte große Artensterben überwiegend und erstmals von Menschen gemacht. Wir heutigen Menschen sind dabei, unseren Brutinstinkt zu verlieren. Wir leben und arbeiten nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Das große Abschiednehmen von der Artenvielfalt hat begonnen.

 

Dr. Franz Alt war von 1962 bis 1988 CDU-Mitglied. Der frühere "Report"-Moderator präsentiert heute das 3sat-Magazin "Grenzenlos". Zum Thema Umweltschutz verfaßte er mehrere Bücher. Weitere Informationen gibt es auf seiner Internetseite: www.sonnenseite.com 


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen