© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/02 22. November 2002

 
Der letzte Europäer
Zum 90. Geburtstag Otto von Habsburgs: Der Erbe des universalen Kaisertums verkörpert Europa
Lothar Höbelt

Vor einigen Jahren machte ein Engländer bei einer Tagung in London den Vorschlag: "Otto von Habsburg should run Europe." An dem Reiz des Zitats ändert auch die Tatsache nichts, daß der Engländer eigentlich ein russischer Fürst war. Nicht daß sein Wunsch allzu realistisch ist. Dazu wäre er viel zu vernünftig.

Als Chef des Hauses Habsburg verkörpert Otto die europäische Dynastie schlechthin. Ein anderer Engländer, William Gladstone, sagte vor über hundert Jahren: Man kann nirgendwo auf die Landkarte zeigen und sagen, hier hat Österreich etwas Gutes getan. (Später schwächte er die Bemerkung mit der charakteristischen Einschränkung ab, es hätte damals eben gerade Wahlkampf geherrscht.) Vom Haupt der gutmenschlichen Camarilla seiner Tage war das schon ein ziemliches Kompliment. Und tatsächlich, von Skandinavien vielleicht abgesehen, haben die Habsburger ihre Spuren so ziemlich überall in Europa hinterlassen. Die Habsburger waren gut dreihundert Jahre Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Sie waren deutsche Fürsten, schon als andere - nomina sunt odiosa - noch mit Vorliebe französisch sprachen, wie denn überhaupt die Erbfeindschaft der Deutschen und Franzosen mitnichten eine preußische Erfindung ist, sondern auf die lukrative Liebesheirat Maximilians I. mit Maria von Burgund 1477 zurückgeht. Die Habsburger regierten Spanien zu seiner Glanzzeit - und das hieß, den Großteil Italiens gleich mit. (Franco soll auch Otto einmal die spanische Krone angeboten haben - die er als Verfechter der Legitimität selbstverständlich ablehnte: Wem soviel Kronen zustehen, der muß den Bourbonen nicht auch noch die letzte nehmen.)

Für die Franzosen bleibt der Trost, daß die Familie seit 250 Jahren, seit der Heirat der letzten Habsburgerin Maria Theresia mit dem Vertriebenen-Herzog Karl Stephan, eigentlich Lothringer sind - 1951 heiratete Otto von Habsburg in Nancy, der alten lothringischen Hauptstadt, nicht zuletzt deshalb, weil ihm sein engeres Heimatland, die Republik Deutsch- oder schon nicht mehr deutsch - Österreich, die Einreise verweigerte. (Wie Otto von Habsburg zur Idee der österreichischen "Nation" steht, erhellt daraus, wenn er von den Ungarn als den Nachbarn der Deutschen spricht...)

Vor allem aber - und das müßte selbst die Franzosen überzeugen - würde Europa nie wieder jemanden finden, der alle gaullistischen Tugenden verkörpert - ohne jedes Anzeichen der Chirac'schen decadence: Jemand, der im Kalten Krieg eine großartig "revanchistische" Haltung durchgehalten hat, ohne deshalb amerikanischen Modetorheiten anheimzufallen. Galt doch schon die Stammutter des neuen Hauses, die schon erwähnte, gern fälschlich "Kaiserin" genannte Maria Theresia, nicht zu Unrecht als eine zähe Revanchistin!

Die Habsburger sind katholisch: Zur monarchia universalis gehört auch eine Weltreligion. Altmeister Leopold von Ranke hat daraus den Vorwurf konstruiert, sie hätten die Spaltung in der Nation provoziert. Sie waren eben keine Wasas oder Tudors, die bloß eine Stammesreligion verwalten und die Kirchengüter einziehen wollten. Ein Reichsvolk muß dafür Verständnis haben, und die Deutschen sind das Reichsvolk schlechthin, wie ihnen Otto von Habsburg ins Stammbuch schrieb. Konfessionellen Eifer haben sie mit geringen Ausnahmen dennoch an die bayerische Verwandtschaft delegiert. Ultramontane Frömmelei war ihnen in der Regel fremd. Auf den Höhepunkt seiner Macht gelangte das Erzhaus im Dreißigjährigen Krieg durch eine Armee von konfessionellen Wendehälsen, die gerne scherzten, Rom sei schon lange nicht mehr geplündert worden. Denn selbst auf dem Höhepunkt der Gegenreformation fanden die Allerkatholischsten Könige (bis hin zu Philipp II.) überhaupt nichts dabei, den Papst mit Krieg zu überziehen - und der Chef des Hauses fühlt sich auch heute nicht bemüßigt, allen Kapriolen der Tabernakelbolschewiken Beifall zu spenden.

In ihrer engeren Heimat ist ein Teil der Habsburg-Anhänger leider vom österreichischen Bazillus der Selbstinfantilisierung infiziert, der sich darin gefällt, die Habsburger als gutmütig, aber vertrottelt darzustellen, frei nach dem Motto: Kitsch as Kitsch can. Ein Wiener Monarchist sagte über den Chef des Hauses, wer so viele Bücher schreibe, sei nicht mehr richtig gütig. Gütig in diesem vertrottelten Sinne waren die Habsburger freilich nie. (Selbst Ferdinand der Gütige, bei dem dieser Verdacht auf den ersten Blick naheliegt, erhielt diesen Beinamen nicht als Euphemismus, weil er als Epileptiker offiziell für regierungsunfähig erklärt worden war, sondern weil er den mehr oder weniger lieben Wienern 1848 eine Konstitution gewährte.)

Einen Politiker, der das divide et impera zwischen Nationen, Klassen und Parteien besser beherrschte als der Kummer gewohnte Routinier Franz Joseph, wird man schwerlich finden. Selbst ihre tragischen Überspanntheiten muß ihnen erst einmal jemand nachmachen: Von Franz Josephs Bruder Maximilian, der als zum Tode verurteilter Kaiser von Mexiko eine Flucht aus dem Gefängnis in Queretaro 1867 ablehnte, bis zu Ottos Vater Karl I. (IV.), der mit seiner schwangeren Kaiserin Anno 1921 in einem winzigen Flugzeug die Alpen überquerte und in der Puszta landete, um den ungarischen Thron zurückzuerobern.

Aus den Klatschspalten, die mit allerlei formal regierenden Häusern in einer symbiotisch-parasitären Verbindung leben, haben sich die Habsburger tunlichst ferngehalten: Dabei hat Otto von Habsburg im Nachkriegseuropa eine größere politische Rolle gespielt als so manches gekrönte Haupt. Von seiner Prinzipientreue könnte so mancher genauso etwas lernen wie von seiner Unvoreingenommenheit. Er spreche mit allen, sagt er gern - was erleichtert wird, wenn man einem italienischen Kommunisten, der mit seiner Bildung prunkt, auch tatsächlich in Latein antworten kann. Wer auf Hitlers Fahndungslisten ziemlich obenan stand, muß sein Gewissen und seine Reputation auch nicht durch Antifa-Gesten salvieren, wie so manche in die Jahre gekommenen HJ-Führer, die sich bei Zeitgeistgazetten wortreich über den Antisemitismus beklagen. Und wer sich die "Ost-Erweiterung" schon auf die Fahnen geschrieben hatte, als am Eisernen Vorhang noch die Wachtürme ins Land schauten, braucht jetzt auch nicht die Benes-Dekrete schönzureden.

Otto von Habsburg hat sich nie als Monarchist bezeichnet, sondern als Anhänger legitimer Staatsformen - und mit Hinweis auf die Schweiz, immerhin das Stammland der Habsburger, stets hinzugefügt, dort erschiene ihm eine Monarchie absurd. Den Vorteil, nicht als Staatsoberhaupt dienen zu müssen, hat er unlängst in einem Gespräch mit dem Rheinischen Merkur so charakterisiert: So dürfe er auch Leute als Esel bezeichnen, die er andernfalls als Exzellenz titulieren müsse. Gelegenheiten dafür finden sich genügend. Ad multos annos!

 

Prof. Dr. Lothar Höbelt, Jahrgang 1956, lehrt seit 1997 Neuere Geschichte an der Universität Wien.


 
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